Geklont
erzählten.
Sie erinnerte sich, wie sie Mama gefragt hatte, warum sie keine Strassen sein könne.
Weil du eine Emory bist, hatte Mama gesagt, einfach deshalb. Ich bin eine Strassen. Schau dir Tommy Carnath an. Seine Mama ist Joanna Morley. Erwachsene verstehen so was.
Plötzlich drehte sich ihr der Magen um, und sie fühlte sich verschwitzt und kalt.
»Bitte«, sagte sie. »Onkel Denys, mir geht's nicht gut. Ruf Nelly.«
Denys beeilte sich. Und Nelly hob ihren Arm aus der Schlinge und brachte sie ins Bad, wo die Übelkeit noch lange anhielt, aber sonst nichts geschah. Ari wünschte sich nur, sie könne sich übergeben, weil es drinnen und draußen weh tat.
Nelly brachte ihr ein Glas mit einem sprudelnden Zeug für ihren Magen, und es schmeckte schrecklich, aber sie trank es. Danach fühlte sie sich etwas besser und legte sich wieder in ihre Kissen, während Nelly ihr lang übers Gesicht und übers Haar streichelte und sich um sie sorgte.
Nelly war ganz die Alte. Sie war so, wie sie immer zu ihr gewesen war. Ari nahm an, daß es stimmte und Mama wirklich noch immer ihre Mama war, aber sie war sich nicht mehr sicher, wer sie war. Sie wollte es herausfinden. Onkel Denys wußte es, und sie wollte ihn fragen, aber sie wußte nicht recht, ob sie jetzt noch mehr hören wollte.
Onkel Denys kam schließlich zurück, setzte sich zu ihr und klopfte ihr auf die heile Schulter. »Geht's dir gut, Liebling? Wirst du wieder gesund?«
Mama hatte sie so genannt. Onkel Denys noch nie. Ari biß sich in die Lippe, bis sie mehr weh tat als das.
»Ari?«
»Was für Sachen hätte ich sonst noch herausgefunden?«
»Es gab eine sehr berühmte Frau in Reseune, die denselben Namen hatte wie du«, erzählte Onkel Denys und zog den Stuhl beiseite, um Nelly Platz zu machen, die ein paar Sachen vom Nachttisch ins Bad zurückbrachte. »Du siehst ganz genauso aus wie sie, als sie ein kleines Mädchen war, und es gibt viele Bänder mit Bildern von ihr, die du unbedingt studieren solltest. Sie war sehr klug, Ari, so klug wie niemand sonst. Sie war nicht deine Mama. Du bist nicht ihre Tochter. Du bist ihr noch viel ähnlicher. Wie ähnlich, wissen wir noch nicht, aber du bist ein außergewöhnliches kleines Mädchen, und ich weiß, daß Jane sehr stolz auf dich ist.«
Er klopfte ihr nochmals auf die Schulter. Nelly war zwischendurch einmal durchs Zimmer gegangen. Jetzt stand er wieder auf. Es war ihr egal. Sie dachte noch immer nach und sie hatte das Gefühl, ihr Kopf sei voller Brei.
»Ari, ich werde dafür sorgen, daß Florian und Catlin die ganze Nacht in deinem Zimmer bleiben, wenn du willst. Ich glaube, das würde dir gefallen, oder?«
Sie wußte nicht, wie sie Florian und Catlin erklären sollte, daß sie so dumm gewesen war. Sie würden sie nicht mehr mögen: Sie waren ihre Azis, und sie mußte sie gern haben. Aber sie würden sich aufregen. Sie würden sich aufregen, weil sie auch aufgeregt war. Deshalb wischte sie sich mit dem Handrücken übers Gesicht und versuchte mit dem Schniefen aufzuhören.
»Ari?«
»Weiß Nelly das?«
»Nelly weiß es. Sie versteht es nicht, aber sie wußte es, immer schon.«
Das machte sie unheimlich wütend auf Nelly.
»Nelly gehörte zu deiner Mama, Ari. Deine Mama hat Nelly eine furchtbar schwere Last aufgebürdet, indem sie ihr soviel erzählte, und Nelly sagte, sie müsse das geheimhalten. Nelly ist deiner Mama treu ergeben. Natürlich sagt sie nichts.«
»Ollie wußte es auch.«
»Ollie wußte es. Willst du, daß ich Florian und Catlin reinschicke, damit sie hier die Nacht verbringen? Sie können drüben in der Ecke auf Decken schlafen. Das würde ihnen überhaupt nichts ausmachen.«
»Wissen sie es?«
»Nein. Nur die Leute deiner Mutter wußten es. Die beiden hier gehören zu dir.«
Sie fühlte sich etwas besser bei dem Gedanken. Wenigstens hatten ihre Azis nicht über sie gelacht. »Weiß es Amy Carnath?«
Onkel Denys furchte die Stirn und ließ sich einen Augenblick für seine Antwort Zeit. »Warum ist es dir wichtig, ob Amy Carnath es wußte?«
»Weil es mir wichtig ist«, maulte sie.
»Ari, ich bin für deine Erziehung verantwortlich. Deine Mama und ich sind uns darin einig gewesen, daß es einige Fragen gibt, die ich nicht beantworten werde, weil du selbst eine Antwort darauf finden sollst. Du wirst manchmal auf mich böse sein, aber ich muß mich an das halten, was ich mit deiner Mama abgesprochen habe. Du bist sehr klug. Deine Mama erwartet von dir, daß du einige dieser Dinge
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