Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
Vom Netzwerk:
Abend war sorgfältig geplant. Cindy überließ nie etwas dem Zufall. Die Portionen waren genau kalkuliert, die Kochzeiten synchronisiert, der Weißwein war gekühlt, der Rotwein eben richtig temperiert. Die Brötchen waren warm, die Butter war weich, die Gäste wurden jeweils zum passenden Zeitpunkt animiert, sich an einer Unterhaltung zu beteiligen, deren Inhalt jeder im voraus kannte. Es war nicht eins von den Abendessen, an denen man keinen Satz zu Ende reden kann, weil einem jeder ins Wort fallen will, an denen die Gäste zu lange bleiben, zu viel trinken, und, wenn sie sich endlich vor der Haustür voneinander verabschieden, ihre Adressen austauschen. Es war langweilig. Möglicherweise hatte Cindy bei ihrer Planung sogar berücksichtigt, dass an diesem Abend Gloria zum Mathematikunterricht ging (den sie nahm, um sich auf die Universität vorzubereiten), jedenfalls hatte sie mich auf diese Weise allein.
    Der Ton der Unterhaltung war von Anfang an sehr gesetzt, wie meistens, wenn Sir Giles Streeply-Cox als Ehrengast dabeisaß. Sir Giles war ein muskulöser alter Herr mit buschigen weißen Koteletten, wie sie die Physiognomien der Dickensschen Helden schmückten, und der dazu passenden blühenden Gesichtsfarbe. »Creepy Pox« (wie man ihn hinter seinem Rücken nannte, schleichende Pest) war zu seiner Zeit eine Geißel des Außenministeriums gewesen. Minister und Gesandte hatten vor ihm gebebt. Seit seiner Pensionierung lebte er in Suffolk und züchtete Rosen, während seine Frau Bilderrahmen für die Aquarellmaler der Gegend machte. Doch der Alte saß noch immer in genügend Ausschüssen, um sein Fahrgeld und die Spesen ersetzt zu kriegen, wenn er mal nach London kam.
    Es war das erste Mal, dass ich dem gefürchteten Creepy Pox persönlich begegnete, aber an diesem Abend war er die Liebenswürdigkeit selbst. Cindy wusste genau, wie er zu nehmen war. Sie ließ ihn die Rolle des bezaubernden großen alten Mannes von Whitehall spielen. Er spielte sie mit Bravour, aber das Ungeheuer, das hinter dem Lächeln und den selbstkritischen Nebenbemerkungen lauerte, war nicht zu verkennen. Lady Streeply-Cox sagte wenig. Sie gehörte einer Generation an, die man noch gelehrt hatte, in der Unterhaltung weder das Essen noch die Tischordnung zu erwähnen, und war offensichtlich der Meinung, vom Beruf ihres Mannes zu reden sei genauso schlimm, wie das Fernsehprogramm zu diskutieren. Also saß sie da und lächelte über die Witze ihres Mannes, hatte mithin nicht viel zu tun.
    Zwei Leute vom diplomatischen Corps waren anwesend. Harry Baxter, ein Mann in mittleren Jahren, zweiter Sekretär unserer Botschaft in Bern, mit seiner Frau Pat. Pat trug eine schwere goldene Halskette, hatte sich das Haar rosa getönt und erzählte alte Witze – die Pointen in Schwyzerdütsch – über Bankiers mit unaussprechbaren Namen.
    Als Cindy Baxter fragte, was es letztens Aufregendes in Bern gegeben hätte, antwortete der alte Streeply-Cox für ihn: Die einzige aufregende Sache, die Diplomaten in Bern passiert, sei, sagte er, das Käsefondue-Essen, und zwar, wenn sie ihre Brotrinden dabei verlieren. Worüber dann das Ehepaar Streeply-Cox schallend lachte.
    Ein junges Paar war auch da. Simon, ein schüchterner Junge Anfang Zwanzig, hatte an einer Privatschule in Bayern Englisch unterrichtet. Es war keine angenehme Erfahrung für ihn gewesen. »Man braucht diese gemeinen kleinen deutschen Bengels nur zu sehen, um zu begreifen, warum die Deutschen schon so viele Kriege angefangen haben. Und wenn man die Lehrer sieht, versteht man auch, weshalb sie diese Kriege immer verlieren.« Nun schrieb Simon Theaterkritiken für eine Zeitschrift, die gratis verteilt wurde, und hatte sich einen Namen als Kenner und Perfektionist gemacht, indem er alles, worüber er schrieb, verriss. Seine Begleiterin war ein stilles Mädchen mit verschmiertem Lippenstift. Sie trug ein Herrenjackett aus Tweed, das ihr einige Nummern zu groß war. Während des Essens lächelten die beiden sich unentwegt an, und kurz nach dem Essen gingen sie.
    Wir anderen gingen nach oben und tranken Kaffee – oder was sonst gewünscht wurde – in einem Zimmer, wo eine kunstvolle, mit Gas betriebene Kaminfeuerattrappe laut zischte. Creepy hatte eine halbe Tasse koffeinfreien Kaffee und ein Schokominzplätzchen, seine Gemahlin kippte zwei große Cognacs, und dann fuhr sie ihn nach Hause.
    Das Paar aus Bern blieb noch etwa eine halbe Stunde länger. Da Cindy mir angedeutet hatte, dass sie gerne noch

Weitere Kostenlose Bücher