Geködert
anpries. Gloria hatte für Alkohol nichts übrig. Ihr war Orangensaft lieber oder Joghurt, sogar Seven-up. Auch da machte sich der Altersunterschied zwischen uns bemerkbar, nehme ich an. Da ich mit dem Urteil des Barkeepers übereinstimmte, nahm ich einen zweiten Armagnac mit auf unser Zimmer, wo Gloria eben aus der Badewanne stieg. »Das Wasser ist heiß«, rief sie fröhlich. Splitternackt durchquerte sie das Zimmer und sagte: »Nimm eine Dusche, Liebling. Du wirst sehen, wie das deine Lebensgeister weckt.«
»Meine Lebensgeister sind schon geweckt«, sagte ich und folgte ihr mit den Blicken.
Während der Fahrt von Le Mas des Vignes Blanches zum Hotel hatte sie kein Wort gesagt und mich meinen Gedanken überlassen. Als ich nun aber fragte: »Also, was hältst du von ihr?«, sagte Gloria wie aus der Pistole geschossen: »Das alte Aas.«
»Wenn man schon in der ersten Runde k. o. geschlagen werden muss, ist es wenigstens tröstlich zu wissen, dass ein Weltmeister einen aufs Kreuz gelegt hat«, sagte ich.
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»Sie hat dich in die Falle gelockt.«
»Und mit bewundernswerter Geschicklichkeit«, sagte ich.
»Sie ahnte schon, weshalb wir da waren, ehe ich noch den Mund aufmachte. Schnell und gewieft. Das musst du zugeben.«
»Ein schlaues altes Aas«, sagte Gloria.
»Willst du dir nicht was anziehen?«
»Wieso?«
»Du lenkst mich ab.«
Sie küsste mich. »Du riechst nach Alkohol«, sagte sie. Ich nahm sie in die Arme. »Es tut gut, das zu hören, Liebling. Ich dachte schon, ich beherrsche die Kunst der Ablenkung nicht mehr.« Ich streichelte sie. »Nein, nicht doch. Es gibt doch gleich Essen. Laß das, die Zeit reicht nicht, wir müssen gleich runter zum Essen.«
»Jetzt ist es schon zu spät«, sagte ich. Und so war es auch.
Nachher, als wir still nebeneinander saßen, sagte sie: »Was bist du, Bernard?«
»Wie meinst du das?«
»Bist du Engländer oder Deutscher oder gar nichts? Ich bin gar nichts. Ich dachte früher immer, ich wäre Engländerin, aber das war ein Irrtum.«
»Ich dachte immer, dass ich Deutscher wäre«, sagte ich.
»Wenigstens dachte ich immer, dass mich meine deutschen Freunde für einen Berliner hielten, was sogar noch besser war.
Und dann eines Abends spielte ich Karten mit Lisl und einem alten Mann namens Koch, und da kam heraus, dass sie mich für einen Engländer hielten und nie für was anderes gehalten hatten. Ich war ganz schön verletzt.«
»Aber du wolltest beides haben, Liebling. Bei deinen englischen Freunden wolltest du Engländer sein, und deine deutschen Freunde sollten dich auch für einen von ihnen halten.«
»Wahrscheinlich.«
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»Meine Eltern sind Ungarn, aber ich bin nie in Ungarn gewesen. Ich bin in England aufgewachsen und habe mich immer für hundertprozentig englisch gehalten. Ich war ein Superpatriot. Ich lernte all diese herrlichen Shakespeare-Reden über England auswendig und duldete kein schlechtes Wort gegen die Königin, und Leute, die bei der Nationalhymne nicht aufstanden, sah ich schief an. Und dann sagte mir eines Tages ein Mädchen in der Schule die Wahrheit über mich selbst.«
»Welche Wahrheit?«
»Ihr Ungarn, sagte sie. Die anderen Mädchen hörten sie, ich wusste, dass ich das nicht auf mir sitzen lassen konnte. Ich sagte:
Ich bin in England geboren. Na und? sagte sie. Und wenn du in einer Apfelsinenkiste geboren worden wärst, wärst du dann eine Apfelsine? Die anderen Mädchen lachten. Ich habe die ganze Nacht geheult.«
»Arme Kleine.«
»Ich bin nichts. Aber das macht nichts. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt.«
»Auf uns Nichtse also«, sagte ich, das Glas mit dem letzten Rest des Armagnacs erhebend, ehe ich es leerte.
»Wir werden nichts mehr zu essen kriegen, wenn du dich nicht beeilst«, sagte sie. »Geh unter die Dusche.«
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8
Es gab natürlich kein Frühstückszimmer. Diese Sorte französischer Hotels haben nie eins. Und im Gegensatz zu Gloria esse ich nicht gern im Bett. So saß sie im Bett, ein Tablett auf den Knien, und ich, auf einem Stuhl daneben, trank eben meine zweite Tasse Kaffee, als das Telefon klingelte.
Ich wusste, dass es die Damen Winter waren. Niemand anders wusste, wo ich zu erreichen war. In Missachtung der Bestimmungen hatte ich nicht mal bei meiner Dienststelle eine Kontaktnummer hinterlassen. Wenn man ausländische Kontaktnummern hinterließ, konnte es einem passieren, dass man gefragt wurde, wo man gewesen sei und warum.
»Hier spricht Ingrid Winter. Meine Mutter fühlt
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