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Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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würde ihm sogar das noch wie ein guter Witz vorkommen. Die Ungarn haben alle einen komischen Sinn für Humor.«
    »Das habe ich mir auch schon gedacht«, sagte ich.
    »Er versteht was von Chemie. Und es macht ihm Spaß, die Pigmente nach alten Rezepten herzustellen, das Holz und die anderen Materialien auf alt zu trimmen. Er ist wirklich ein Fuchs.«
    Wieder bewegte sich der alte Mann und fasste sich an den Kopf, an die Stelle, wo er beim Sturz aufgeschlagen war. »O
    Gott«, murmelte er.
    »Es ist alles in Ordnung«, sagte ich beruhigend.
    »Er kann dich nicht hören. Er spricht im Schlaf«, sagte Gloria. »Machst du übrigens auch manchmal.«
    »Natürlich«, erwiderte ich spöttisch.
    »Letzte Woche hast du mich damit geweckt. Verrückte Sachen hast du gerufen.« Sie legte mütterlich den Arm um meine Schultern.
    »Was für Sachen?«
    »Sie bringen ihn um. Sie bringen ihn um.«
    »Ich rede nie im Schlaf«, sagte ich.
    »Wie du meinst«, entgegnete Gloria. Aber sie hatte recht.
    Drei Nächte hintereinander war ich aus einem Alptraum über Jim Prettyman erwacht. »Sie bringen Jim um!« Das hatte ich gerufen. Ich erinnerte mich nur zu gut. Ich schrie mir die Seele aus dem Leib in jenem Traum, aber von den Vorübergehenden nahm niemand die geringste Notiz von mir.

    - 129 -
    »Sieh dir die Fotos an«, sagte Gloria und strich ein paar alte Abzüge glatt, die zusammengerollt unter allem möglichen anderen Zeug auf einem Abstelltisch lagen. »War er nicht ein gutaussehender Mann in seiner Jugend, ein richtiger Schwerenöter?«
    Dodo posierte mit einem halben Dutzend anderer schlanker, athletischer Jünglinge mit einem älteren Mann, dessen Gesicht mir wohlbekannt war. Drei von ihnen saßen in Korbsesseln vor einem Gartenhäuschen. Und einer in der ersten Reihe hatte den Fuß auf ein Brett gesetzt, auf dem »Die Preußen« stand.
    »Wahrscheinlich ein Tennisturnier«, erklärte Gloria. »Er war ein hervorragender Tennisspieler.«
    »Irgend so was, ja«, sagte ich, obwohl ich genau wusste, dass es nichts Derartiges war. Der ältere Mann war ein seit Ewigkeiten von Berlin aus operierender Agent namens John Koby, genannt »der Lange« – ein Zeitgenosse meines Vaters –, und seine »Preußen« waren Agenten, die in der SBZ
    Nachrichten für ihn sammelten. Dodo war also einmal Geheimagent gewesen.
    »Hat Dodo irgendwann mal für deinen Vater gearbeitet?«
    fragte ich sie.
    »In Ungarn?«
    Ich nickte.
    »Nachrichtendienstlich?«
    Dass sie um den heißen Brei herumredete, konnte man ihr wirklich nicht nachsagen. »Nicht, dass ich wüßte.« Sie nahm mir das Foto aus der Hand. »Ist das ein Team?«
    »Das ist der Amerikaner, der lange Koby«, sagte ich.
    Sie betrachtete das Foto jetzt mit neuem Interesse. »Er ist viel älter als die anderen. Er lebt noch, nicht wahr?«
    »Er wohnt in Berlin. Ich treffe ihn dort manchmal. Mein Vater verabscheute den Langen. Aber der Lange war in Ordnung.«
    »Wieso?«

    - 130 -
    »Er verabscheute all diese Amerikaner, die für den Langen arbeiteten. Er sagte immer: ›Deutschamerikaner sind amerikanische Deutsche‹. Er hatte schwere Vorurteile gegen sie.«
    »Ich habe dich noch nie deinen Vater kritisieren hören«, bemerkte Gloria.
    »Vielleicht hatte er seine Gründe«, sagte ich abwehrend.
    »Gehen wir.«
    »Bist du sicher, dass mit Dodo alles in Ordnung ist?«
    »Dodo fehlt nichts«, sagte ich. »Du magst ihn doch, nicht?«
    »Ja«, sagte ich.
    Bei dieser ersten Begegnung mochte ich ihn wirklich. Ich muss verrückt gewesen sein.

    - 131 -

10
    »Ich finde, es ist alles sehr gut gelaufen«, sagte Dicky Cruyer mit einem Anflug von bescheidenem Stolz. Er trug Erläuterungstafeln, die er jetzt zu Boden setzte und gegen ein Bein seines schönen Rosenholztisches lehnte.
    Ich war auf dem Weg in sein Zimmer noch damit
    beschäftigt, die Notizen zu entziffern, die ich mir während der üblichen Dienstagvormittagszankerei, mit gegenseitigen Kundgebungen der Entrüstung und Empörung, gemacht hatte.
    Dicky hatte also nicht meine ungeteilte Aufmerksamkeit, und so etwas entging ihm nie. Ich blickte auf und brummte etwas.
    »Ich habe gesagt«, wiederholte Dicky langsam, nachdem er mich mit einem gutmütigen Lächeln bedacht hatte, »dass meines Erachtens alles sehr gut gelaufen ist.« Ich muss verblüfft ausgesehen haben. »Ich meine, die
    Abteilungsbesprechung.« Er klopfte an das Messingbarometer, das seit einiger Zeit das Zubehör seines Arbeitsplatzes vervollständigte. Oder vielleicht klopfte er

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