Geködert
gerade in London ist, und im Augenblick ist er nicht hier. Champagner?
Whisky oder sonst etwas?«
»Ein Glas Wein«, sagte ich.
Werner betrat die winzige Küche, eine von Neonröhren beleuchtete fensterlose Nische, deren Einrichtung eher dazu animierte, den »Service« in Anspruch zu nehmen, als selbst zu kochen. Werner nahm eine Flasche Wein aus dem
Kühlschrank, einen Meursault. Die Flasche war voll, aber bereits entkorkt, so als hätte Werner geahnt, was ich trinken wollte, und seine Vorbereitungen getroffen. Er goß mir ein Waterford-Glas reichlich voll und stellte die Flasche wieder zurück. Der Kühlmotor begann zu schnurren, und die im Innern vibrierenden Flaschen klirrten diskret.
»Auf die Zukunft, Werner«, sagte ich, ehe ich trank.
Er lächelte nüchtern und nahm seine Brieftasche von einem Abstelltisch. Ehe er sie in die Tasche steckte, sah er nach, ob seine Kreditkarten noch alle da waren. Ein Meursault: Das war ein Luxus, den ich in ganz besonderem Maße genoß. Werner hätte ihn den ganzen Tag lang saufen können, wenn er gewollt hätte.
Die meisten Leute sausen auf einer Art finanzieller Berg-und-Tal-Bahn durchs Leben, die für sie entscheidet, ob sie sparen müssen oder prassen können. Werner nicht. Er hatte immer genug. Er entschied, was er wollte – ob’s nun ein
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kleines Lokal um die Ecke war, wo es eine ausgezeichnete Lachs-Mousse gab, oder ein prächtiges neues Auto –, steckte die Hand in die Tasche und kaufte es. Werners Bedürfnisse waren allerdings bescheiden. Er sehnte sich nicht nach einer Yacht oder einem Privatflugzeug, er hielt sich keine Geliebten, spielte nicht und schmiss auch kaum extravagante Partys.
Werner hatte einfach mehr Geld, als er brauchte. Ich beneidete ihn um seine lässige, großzügige Lebensart. Wenn ich mit ihm zusammen war, kam ich mir immer vor wie ein
pfennigfuchsender Lohnsklave; vermutlich weil ich genau das bin.
Ich nahm meinen Wein und setzte mich in einen der weichen Ledersessel, um mir anzuhören, was so Schreckliches passiert war, dass er hatte nach London fliegen und meine Feierabendruhe stören müssen. Ich sah mich um. Das war also ein Apartment. Ja, jetzt bemerkte ich den Unterschied zu einem gewöhnlichen Hotelzimmer: Es sah bewohnt aus. Vom CD-Player spielte Glenn Gould mit ungewöhnlich sanftem Anschlag Bach, und an den Wänden hingen zwei scheußliche moderne Gemälde anstatt der geschmackvollen Lithographien, mit denen Innenarchitekten Hotelzimmer dekorieren.
Es war ein Absteigequartier fern der Heimat. Das sah man schon an den Büchern. Lange überholte Restaurantführer, Straßenkarten, Museumskataloge standen neben jenen Büchern, die zum Zeitvertreib gelesen werden, wenn des Tages Arbeit getan ist: eselsohrige Kriminalromane von der Sorte, die man wieder und wieder lesen kann, ohne je zu merken, dass man sie schon kennt, sehr dünne Romane von dünnen Damen, die Literaturpreise gewinnen, sehr dicke von dicken Damen, deren Namen in keinem Feuilleton genannt werden. Und ein ganzes Regal voll Biographien von Mutter Teresa über Barbra Streisand bis Sir Olivier. Ein langer, langer Weg nach Hause.
Werner hatte mir mit Mineralwasser zugeprostet. Er trank es aus einem geschliffenen Kristallglas mit Eis und einer
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Zitronenscheibe, als wollte er es für was Stärkeres ausgeben.
Seufzend ließ auch er sich in einem der Sessel nieder. Der jetzt sorgfältig gestutzte schwarze Bart stand ihm gut. Er sah nicht im mindesten wie ein Hippie oder Kunsterzieher damit aus, eher nach etwas Seriöserem – aber nur bis zum Hals. Gekleidet war er lässig, ein schwarzer, langärmeliger Wollpullover, eine dazu passende Hose, ein offenes, in Regenbogenfarben gestreiftes Seidenhemd. Er saß entspannt da. Nur sein Blick war besorgt. »Es ist wegen Zena.« Er beugte sich vor, um einen Untersetzer aus dem Regal zu nehmen, auf den er dann mein Glas stellte. Zenas Mann hatte gelernt, die Möbelpolitur zu schonen, er konnte als stubenreines Exemplar seiner Gattung gelten.
O nein, dachte ich. Nicht schon wieder einen Abend lang über diese Frau reden! Nicht mal seinem besten Freund durfte Werner das zumuten! »Was ist denn mit Zena?« fragte ich, wobei ich versuchte, einen warmen, mitfühlenden Ton in meine Stimme zu legen.
»Genaugenommen wegen dieses verdammten Frank
Harrington«, sagte Werner erbittert. »Ich weiß, dass du irgendwie an Frank hängst, Bernie, aber laß dir gesagt sein, er ist ein Schwein, wirklich.« Er beobachtete
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