Gekroent
sie verlassen. Niemand sprach im Wind. Niemand sprach in ihrem Kopf. Das sollte etwas Gutes sein, oder zumindest versuchte Morrigan sich das einzureden, aber das Fehlen der Stimmen fühlte sich falsch an und machte sie nervös. Irgendetwas würde passieren. Vermutlich nichts Gutes.
Die Sidetha bevölkerten den Hügel und bildeten einen weiten Kreis um den Scheiterhaufen. Bald war die gesamte Anhöhe bis auf den letzten Platz besetzt. Morrigan war froh, sich dafür entschieden zu haben, von der Kieferngruppe aus zuzusehen. Von der kleinen Erhebung aus konnte sie über die Köpfe hinwegschauen. Die Menschen waren ernst und feierlich. Es wurde wenig geredet, wodurch ihr ersticktes Schluchzen und Schniefen noch lauter klang. Morrigan wusste, dass die Leute nichts vorspielten. Kai war von den Sidetha aufrichtig geliebt worden.
Eine Bewegung weckte ihre Aufmerksamkeit. Sie sah, dass die Leiche herangetragen wurde. Birkita führte die Prozession an. Sie hielt eine lange Fackel, die ruhig im sanften Abendlicht brannte. Die Leiche lag auf einer Bahre, die von sechs kräftigen Steinarbeitern getragen wurde. An ihrer Seite gingen je sechs Priesterinnen. Am Ende des Trauerzuges, Kais Kopf am nächsten, ging eine Frau, die, wie Morrigan annahm, Shayla sein musste.
Alle Priesterinnen trugen weiße, schlichte Kleider, genau wie die meisten Trauernden, inklusive sie selbst. Birkita hatte ihr erklärt, dass sie weiß als Farbe der Trauer wählten, weil diese Farbe die scheidende Seele symbolisierte. Birkitas Robe war sehr üppig und mit einem Muster aus ineinander verschlungenen, silbernen Spiralen bestickt. Shayla trug ebenfalls Weiß. Sogar ihr Gesicht war von einem transparenten Schleier bedeckt, der ihr beinahe bis zu den Knien reichte. Als die Prozession durch die Menge schritt, die sich teilte, um ihr Platz zu machen, und näher in Richtung Scheiterhaufen kam, konnte Morrigan einen Blick auf Shaylas Gesicht hinter dem Schleier werfen. Sie dachte, dass sie einer Zombiebraut irritierend ähnlich sah. Vor sich hielt sie das rituelle Schwert der Sidetha. Die Gegenwart des Schwerts bei dieser Trauerfeier bedeutete, dass die Sidetha Kai posthum zu einem der Ihren ernannten. Es war ein beeindruckendes Langschwert, in dessen Griff die Figur von Adsagsona geprägt war. Edelsteine schmückten es, und die scharfe, doppelschneidige Klinge glitzerte, wenn das Licht von Birkitas Fackel darauffiel.
Die Prozession hielt bei Kegan neben dem großen Stapel Äste. Er verbeugte sich vor Birkita und dann vor Kais Leiche. Ohne zu sprechen, half er den Männern mit der Bahre und nutzte seine Größe, um sie stabil zu halten, während sie sie gemeinsam nach oben hoben und auf dem abgeflachten Holzstapel absetzten.
Die Priesterinnen bildeten einen Kreis um den Scheiterhaufen, der Birkita und Kegan einschloss. Shayla stellte sich nicht mit in den Kreis, aber auch nicht in die Menge. Morrigan dachte, dass sie total irre aussah, wie sie da mit ihrem Schleier stand, das erhobene Schwert in den Händen, und unverwandt auf Kais Leiche starrte.
Birkita steckte die Fackel in einen Halter, der in den Boden gerammt worden war. Dann hob sie die Arme und rief ihre Göttin an.
„Adsagsona, ich rufe dich oben …“ Sie hielt inne und nahm die Arme herunter, sodass sie ein umgedrehtes V bildeten. „… und unten.“
Morrigan sah zu, wie Birkita Adsagsona heraufbeschwor, und dachte, wie wunderschön die Priesterin aussah, wie feierlich und selbstbewusst. Die Blässe ihrer Haut, die Morrigan solche Sorgen gemacht hatte, wurde von ihrer farblosen Robe aufgenommen und verlieh ihr ein ätherisches, göttinnengleiches Aussehen.
„Oh gnädige Göttin, die Ruhe schenkt. Oh Herrin des Zwischenreichs und des Schoßes der Erde. Wir bitten dich, unsere Gebete für die Seele von Eponas Steinmeister Kai zu erhören, der der Göttin sowohl mit seinem Talent als auch mit seinem Herzen gedient hat. Heute ernennen wir ihn zu einem der Unseren und werden ihn hiernach Sidetha nennen. Wir bitten dich, schenke du ihm als einem von unserem Volk die Erlösung aus dieser Welt und geleite seinen Geist zu Eponas grünen Weiden.“
Birkita und Kegan stellten sich so hin, dass sie einander anschauten, und sie fuhr fort: „Kegan, Hoher Schamane und Meisterbildhauer von Partholon, wir rufen dich an, der du hier vor uns und deiner Göttin stehst, erweise Kai, den du kanntest, Ehre und Liebe.“
Kegan hob die Arme und warf den Kopf in den Nacken. Sein Gesicht war dem Himmel
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