Gekroent
Nacken richteten sich auf, und ihre Augen füllten sich unerwartet mit Tränen. Sofort war Birkita an ihrer Seite und berührte ihren Arm großmütterlich beruhigend.
„Ihr müsst hungrig sein, Lichtbringerin. Die Arbeiter werden gleich aus den Tunneln zurückkehren, dann erwartet sie und uns ein Abendessen. Werdet Ihr uns Gesellschaft leisten, oder würdet Ihr Euch lieber in Euer Zimmer zurückziehen und dort speisen, um im Privaten wieder zu Kräften zu kommen?“
Morrigan räusperte sich und riss sich zusammen. „Nein, ich würde gerne mit euch essen.“ Sie machte eine kleine Pause und lächelte den umstehenden Frauen zu. „Mit euch allen. Ich bin nicht müde, aber ich habe Hunger.“ Die Berührung des Selenitbrockens und die Willkommensgrüße der Geister der Höhle, die sie Lichtbringerin nannten, hatten sie mit einer Energie erfüllt, die auch das letzte bisschen Erschöpfung vertrieben hatte. Jetzt wollte sie etwas essen, und dann wollte sie ihr erstaunliches neues Zuhause erkunden.
„Wir Ihr wünscht, Mylady“, murmelte Birkita. „Hier entlang geht es zur Großen Halle.“
Lächelnd führte die ältere Frau sie aus dem Raum, der ein Spiegelbild des Lagerplatzes in Oklahoma war. Mit der großen Katze an ihrer Seite folgte Morrigan ihr zum Essen – und in ihre Zukunft.
3. KAPITEL
Die Große Halle war in den Teil der Höhle geschlagen worden, den Kyle als den tiefsten Punkt bezeichnet hatte. Bei der Erinnerung an ihn schmerzte ihr Herz, aber Morrigan schob die Gedanken an Kyles tragischen Tod beiseite und dachte an das Erstaunen, das sie beim Besuch in der Höhle empfunden hatte. Noch bevor Kyle es der Gruppe erzählte, hatte sie instinktiv gewusst, dass der Raum vom Fußboden bis zur Decke mindestens fünfzehn Meter hoch war, womit sie sich ungefähr fünfundzwanzig Meter unter der Erde befanden. Als sie und Birkita die Kammer betraten, erkannte sie sie nur vage wieder. Der höhlenartige, unbehauene, mit Felsbrocken übersäte Raum in Oklahoma war nur ein Schatten seines prachtvollen partholonischen Zwillings. Morrigan blieb am Eingang stehen und hielt vor Überraschung die Luft an.
In der riesigen Höhle flitzten Menschen mit Verpflegung und Getränken zwischen in langen Reihen aufgestellten Tischen hin und her. Diese Tische schienen aus einem Stein gehauen worden zu sein, der die Farbe von Butter hatte. Kalkstein … flüsterte es in ihrem Kopf, als sie mit dem Finger über die Wand am Eingang der Höhle strich. Sie nahm dieses Wissen wie selbstverständlich an und schickte einen stummen Dank an die Geister der Steine. Tatsächlich war sie viel zu sehr damit beschäftigt, den Raum und die Menschen darin anzustarren, um sich Gedanken darüber zu machen, dass der sie umgebenden Magie soeben noch eine weitere Ebene hinzugefügt worden war.
Der Raum war überraschend gut erleuchtet. Überall standen Säulen mit kleinen Steinbecken, in denen offene, weißblaue Flammen brannten. In die Säulen waren feinste Muster geritzt, sodass sie aussahen wie Steinblumen, die ihre flammenden Blüten öffneten. Morrigan fiel auf, dass sie die gleichen Flammenhalter schon auf dem Lagerplatz und an den Kreuzungen der Tunnel gesehen hatte. Sie fragte sich, was für ein Stoff wohl so hell und rauchlos brennen konnte. Doch ihr Blick blieb nicht an den Flammen hängen, sondern wurde von den Wänden der Höhle angezogen, an denen feinste Mosaike prangten. Menschen, Tiere und Landschaften sahen lebendig aus.
„Das ist umwerfend!“ Sie atmete tief durch. „So wunderschön.“
„Kommt, Lichtbringerin. Ihr solltet den Ehrenplatz einnehmen.“
Wortlos ließ Morrigan sich von Birkita in die Kammer und zu dem Tisch führen, an dem sich der Ehrenplatz befand. An der Wand dahinter bildeten polierte Steine in der Farbe des Mondlichts die kurvige Silhouette einer Frau nach. Die Figur erinnerte Morrigan an die silbernen Anhänger von Göttinnen, die ihre Großmutter so gerne trug. Doch die Arme waren nicht erhoben, sondern deuteten auf diesem Bild in einem umgedrehten V nach unten. Die Handflächen zeigten nach oben, die Hände waren ausgestreckt, als würden die Fingerspitzen auf Geheimnisse weisen.
Wie zuvor schon, als der Findling aus Selenit ihre Aufmerksamkeit auf sich zog, spürte Morrigan, wie das Mosaik sie vereinnahmte, sodass sie nur noch seine Stärke und sonst nichts mehr wahrnahm. Sie trat an die Wand, in der die Frauenfigur eingelassen war, und hob ehrfürchtig eine Hand, um die glatte Oberfläche der Steine
Weitere Kostenlose Bücher