Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen
schon mal.
Der gute Jürgen – immer die Mineralwasserflasche am Mund. Könnte der Unwissende jetzt schlussfolgern, aber:
Falsch!
Die Aufstoßerei hatte ihre Ursache garantiert nicht im Blubberbläschengehalt von Wasser oder anderen harmlosen Erfrischungsgetränken. Nein: Jürgen bekam seine Probleme beim Verwalten seines Lufthaushaltes von Kaffee mit Schaum.
Kaffee? Kohlensäure? Hä?!
Ja. Jürgens Kaffee enthielt neben Schaum auch Kohlensäure. Und er machte im Gegensatz zu seinen Artverwandten auch nicht wach, sondern immer müder. Er sorgte auch dafür, dass spätestens nach dem Leeren der ersten Thermoskanne das Sprachzentrum des Jürgens unerklärliche Schäden erlitten zu haben schien. Was ihn aber nicht davon abhielt, auch noch eine zweite und dritte Kanne leer zu trinken. Spätestens nach dieser kam es dann auch öfter zu solchen Situationen wie jener mit dem Riesenrülpser.
Oder, was auch schick war, zu einer wie dieser…
Weihnachtsverkehr – die Bezeichnung für die Zeit, in der bei der Post am meisten geschuftet wird (oder zumindest damals wurde). Jeder Westdeutsche hatte wahrscheinlich Verwandte in der DDR, und die, die nicht dazu gehörten, die wollten zumindest die notleidenden Menschen in Polen mit gebührenfreien Paketen beglücken – jedenfalls: Die Paketflut in den Wochen vor dem Fest, sie nahm alle Jahre wieder kein Ende. Der Paketschalter in Meerbusch war personell doppelt besetzt, was auch nötig war, denn die Schlange wurde von acht bis achtzehn Uhr nicht kürzer, die Leute standen bis vor die Tür.
Für Jürgen Grund genug, die doppelte Menge an „Kaffee mit Schaum“ zu trinken…
Es muss irgendwann in den Nachmittagsstunden an einem Mittwoch Mitte Dezember gewesen sein, als wir alle auf einmal verstummten, weil vom Paketschalter her laute und, nun ja, eher unfreundliche Worte zu hören waren und man beim Hinblicken tumultartige Szenen sah.
„ Scheiße hier! Wat wollense denn alle hier? Scheißpakete da!“
Man sah zwei Arme, die Pakete und Päckchen von der Innenseite der Schalterbande aus nach draußen, hin zu den wartenden Kunden, schubsten, die – verständlicherweise – ein wenig Unmut äußerten … um nicht zu sagen: Sie rotteten sich gerade zusammen, um Kaffee-Jürgen zu lynchen.
„Wennse nich ruisch sind, dann machsch eben zu den Laden, so!“
Sagte es und drückte den Knopf, der den Rollladen am Paketschalter nach unten fahren ließ.
„Der macht zu! Der macht einfach zu!“ Nun wurden wir anderen entgeistert angestarrt und ins Geschehen einbezogen.
„Jürgen, du machst jetzt sofort wieder auf!“ erschallte hinter der Jalousie die Stimme von Kollegin Lotte-Liese Hirschhügel, die die zweifelhafte Ehre hatte, Zusatzkraft im Weihnachtsverkehr zu sein. „Jürgen!!! Nein! Du trinkst jetzt keinen Kaffee mehr, du drückst jetzt diesen verdammten Knopf!“
Fröhliche Weihnacht überall. Der Rollladen fuhr wieder nach oben.
Und wieder nach unten, nachdem der erste Kunde, dem Minuten zuvor sein 20 kg-Paket für Nichte Mandy in Gera auf die Füße geworfen worden war, sein Missfallen laut äußerte.
„ Dannebennich – Prost!“ sagte Jürgen beim Drücken auf besagten Knopf, dann war er wieder nicht mehr zu sehen und die Proteste in der Schlange nahmen Formen an, die den späteren Montagsdemonstrationen vor dem Mauerfall durchaus ebenbürtig waren.
„JÜÜÜRGEN!!! Lass mich jetzt an diesen Mistknopf!“ Die Stimme von Lotte-Liese klang immer mehr nach einer Mischung aus Verzweiflung und „Ich werde dich jetzt töten“-Stimmung. Wozu auch der dann folgende Satz passte:
„Siehst du diese Schere hier???“
Die Jalousie ging wieder hoch.
Man sah einen Mann mit zerzausten Haaren, roter Nase, Augen auf halb acht, das Hemd hing halb aus der Hose – Jürgen musste in den letzten Augenblicken vor der erneuten Wiedereröffnung mehrere Kannen „Kaffee“ geext haben.
Lotte-Liese Hirschhügel ergriff sofort das Wort, man merkte in diesem besonderen Moment, dass sie einige Semester Psychologie studiert hatte:
„Liebe Kunden! Es gibt Zeiten im Leben eines Menschen, die sind nicht einfach, da wirft es einen aus der Bahn und man ist nicht mehr Herr seiner Sinne. Sie waren gerade Zeuge eines solchen Augenblicks. Das war nicht schön, aber so ist Leben eben. Mein Kollege bedauert …“
„ Nütschts bedau ….“ Lotte-Lieses Hand klatschte hörbar und schnell wie der Blitz gegen Jürgens Mund.
„…sehr was geschehen ist und wird jetzt schnell und freundlich
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