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Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen

Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen

Titel: Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Wissen
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all ihre Pakete entgegennehmen. Im Namen der Deutschen Bundespost entschuldige ich mich bei ihnen und wünsche dennoch frohe und friedliche Festtage.“
    Allgemeines Schweigen. Man war sichtlich überfordert mit dem Geschehenen, auf allen beteiligten Seiten – und somit auch auf Jürgens. Denn er tat tatsächlich das, was Lotte-Liese den Kunden versprochen hatte: Er nahm unter Gebrauch von für ihn sonst ebenso unüblichen wie überflüssigen Floskeln wie „Bitte“, „Danke“, „Schönen Tag noch, auf Wiedersehen“ alle Sendungen entgegen und das, ohne dass der Rolladen sich noch einmal senkte.
    Erst nach Schalterschluss packte Lotte-Liese Hirschhügel das halbe Dutzend Scheren und Brieföffner aus ihrer Kitteltasche – sie wäre offensichtlich beim geringsten Fehlverhalten ihres Schalterkollegen zu allem bereit gewesen.
    Jener sprach an diesem Tag nicht mehr mit ihr und auch nicht mehr mit uns anderen. Statt umständlich einen neuen Kaffee mit Schaum in einer Thermoskanne anzurichten, zog er dann den direkten Weg vor und öffnete sich ein bis drei Flaschen Düsseldorfer Alt – was aufs Gleiche raus kam.
    Man könnte nun meinen, dass dies der schwärzeste Tag im Leben des Jürgen Schack war. Aber es sollte am nächsten Tag noch dicker kommen…
    „Guten Morgeeen!“
    Wenn Conrad Wibbel samt all seiner anderen Kollegen aus der, wie meine Mutter das zu nennen pflegte, „hüteren Etage“, der Amtsleitung also, am frühen Morgen hämisch grinsend vor uns Schalterkräften stand, dann konnte das nur eins bedeuten: Unvermutete Kassenprüfung.
    Die hatte laut Dienstvorschrift zweimal im Jahr stattzufinden, damit keiner von uns mauscheln und beispiel sweise so tun konnte, als sei Geld in der Kasse, das man in Wahrheit als „vorübergehenden Kredit“ entnommen hatte. In den meisten Fällen allerdings war es Margarete Braun, die Bananen-Greti, die bereits am Vortag mit vielsagendem Blick jedem Einzelnen sagte, dass man doch am Folgetag „auf jeden Fall gaaaanz pünktlich, zwinker, zwinker“ zum Dienst kommen solle. Dann fluchte man zweimal, der ein oder andere musste schlagartig Mama-Papa-Opa-Oma-Onkel-Tante anrufen und bei denen eine Summe X rausschlagen und man machte am Abend einen Probeabschluss, damit es am nächsten Morgen a) schneller ging und b )man eine tadellose Kassenführung vorweisen konnte.
    An jenem Morgen allerdings waren die dienstrangmäßig höheren Kollegen raffinierter vorgegangen. Sie nutzen schamlos aus, dass Margarete Braun auf Personalrats-Ausflug zum Nürnberger Christkindls-Markt war und somit niemand vorwarnen konnte.
    Es war also diesmal eine echt unvermutete Kassenprüfung … die damit zum Beginn eines weiteren schicksalhaften Tages im Leben des Jürgen S. wurde.
    Denn beim Prüfungsvorgang wurde ein genau festgelegter Ablauf eingehalten. Da ging es nicht nur um die korrekte Buchführung – nein, es wurde auch überprüft, ob Bargeld und Briefmarken auch ordentlich in den dafür vorgesehenen Tresoren oder, wie sie auch genannt wurden, Wertgelassen verwahrt wurden und nicht etwa im weniger sicheren Dünnblechschrank.
    Bei Jürgen Schack fand sich alles Geld und auch die dicke Mappe mit den Briefmarken in eben jenem wieder…
    „Äh, Frage, Jürgen …“, Conrad Wibbel war irritiert, „warum ist das alles hier und dein Tresor leer?“
    „Der is‘ nich‘ leer…“
    „Aber was ist denn dann da drin, wenn alles, was da rein gehört, hier in diesem Billo-Blechschrank ist??!!“
    „Äh, jo … was soll ich sagen? Ich pack es nachher alles richtig ein …“
    „Nein, nicht nachher – jetzt! Und ich guck zu!“
    Conrad Wibbel wurde etwas ungehalten. Jürgen Schack zog den Tresorschlüssel aus der Tasche der auf den Knien hängenden Hose und steckte ihn ins Schloss.
    „Aufschließen!“
    Jürgen seufzte und drehte den Schlüssel. Wibbel drängte ihn beiseite und zog selbst die Tür auf.
    Hätte es den Slogan damals schon gegeben, und wäre Conrad Wibbel nicht mit der Heiligen Clarissa verehelicht gewesen, die ihm solche Ausdrücke verboten hatte, er hätte gewiss ausgerufen:
    „ What the fuck???“
    Denn kaum war die Tür des Wertgelass aufgezogen, da kullerten Dutzende voller Bierdosen heraus und knallten teils zu Boden, teils direkt auf Wibbels Füße – Jürgen Schack hatte frisch eingekauft, so konnte man schlussfolgern.
    Das erklärte uns, die wir direkte Kollegen waren, also, warum unser Jürgen so oft „Briefmarken nachfüllen“ musste – jedes Mal wurde dann mal

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