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Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen

Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen

Titel: Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Wissen
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hatte bereits den glasigsten Blick von uns, als sie erklärte:
    „Warum noch warten? Manche Dinge erfordern sofortiges Handeln!“
    Sagte es – und stieg, nicht ohne bedenklich unsicher zu schwanken, auf die Paketschalterbande.
    „Schere!“
    Wir anderen waren nicht mehr so aufnahmefähig.
    „SCHEEEERE!!!!!“ schrie die Frau mit dem Kuhnamen uns an.
    Ich sprang auf, tat einen beherzten Griff in die Schublade nach dem geforderten Schneidewerkzeug und reichte es Madame Hirschhügel – sogar mit der spitzen Seite zu mir gerichtet, Mann, muss ich noch nüchtern gewesen sein.
    Für uns Übrige unsichtbar porkelte die Kollegin mit der Schere in dem Bereich rum, wo geschrieben stand, was es an diesem Schalter so an Dienstleistungen gab. Ab und an fielen weiße Bröckchen zu Boden, ja … aber eigentlich wusste keiner mehr, was wenige Minuten vor Hirschhügels Kletteraktion besprochen worden war. Und außerdem wurden so langsam alle müde.
    „ Tschüsseliese … lieselotte … äh … Lotteliesel … oder so…“ hörte ich noch jemand lallen, dann torkelte ich mit den anderen, so gut es ging, nach diesem anstrengenden Arbeitstag nach Hause.
     
    Der nächste Tag begann grausam. Der Schädel dröhnte, und es fehlten ein paar Stellen in meinem Film über den Vortag. Aber half ja alles nichts: Auch als restalkoholisierter Azubi galt die eiserne Regel: „Wer saufen kann, muss auch arbeiten können.“ – Welcher Idiot hatte sich den Spruch nur ausgedacht? Und ihn dann auch noch meiner Mutter beigebracht??? Denn sie weckte mich auch an diesem Tag eiskalt und rücksichtslos.
    Ich schlurfte also zum Dienst. Ich war sogar der Erste, der die Räumlichkeiten hinter den Schaltern betrat. Also machte ich erst mal Licht. Just in dieser Sekunde hörte ich aus dem Schaltervorraum eine Stimme. Da war wohl doch schon jemand vor mir gekommen.
    Ich schaute um die Ecke, und da stand die gute Seele des Amtes, die Frau Kruschkowski, ihres Zeichens Reinigungskraft (darauf legte sie größten Wert, niemals durfte sie jemand als Putzfrau betiteln). Sie stand also da in ihrem blauen Kittel und brömmelte berlinernd vor sich hin.
    „ Ick glob det nich jetze. Hamm die det jemacht, tatsäschlisch!“
    „ Was’n los, Frau Kruschkowski?“ fragte ich leise, um ihr keinen Herzinfarkt einzujagen.
    „Ja ditte hier! Kuck disch det ma an. Allet janz kaputte Buchstaben liejen hier rum. Dat wart ihr doch, oder nüscht?“
    Da dämmerte es mir, das Bild des Vorabends wurde wieder gegenwärtig … Die gute Frau war gerade dabei, die Einzelteile des Wortes Einschreiben zusammen zu kehren. Hatte Lotte-Liese also ihr Werk tatsächlich vollendet. Und das unter diesen erschwerten Bedingungen: allein und voll des Alkohols. Rückblickend war ich froh, sie nirgends zwischen Paketkarren und Beutelhaltern liegen zu sehen; das hieß wenigstens, dass sie bei der Aktion nicht vom Paketschaltertresen gefallen war.
    Zusammen mit Frau Kruschkowski schaute ich mir also im Morgengrauen jenes Tages die Kunst der Frau Hirschhügel an. Und wir wussten beide in diesem Moment: Es würde kein schöner Tag werden…
    Das Wort Einschreiben , es war weg – und doch immer noch da. Lotte-Liese hatte zwar säuberlich auch noch den letzten Rest der Klebebuchstaben entfernt, aber ihr war wohl in ihrem duhlen Kopf entgangen, dass der Zahn der Zeit das Türkis um diese Lettern herum ausgeblichen hatte. Und dass somit der berüchtigte Begriff immer noch lesbar war, von nun an aber in dunklem Türkis.
    Und exakt dieser Umstand entging wenige Minuten später dem Chef nicht.
    Gerade hatte sich der letzte Kollege an seinen Arbeitsplatz geschleppt, da tönte die ansonsten immer leise und bedächtige Stimme des Herrn Grothe in ungeahnter Stärke los:
    „Sofort!!! Alle sofort in mein Büro!!! Das wird Konsequenzen haben!!!“
    Wir waren schlagartig alle sehr klein … mit Hut, wie man so schön sagt. Wieder einmal sah ich meine Postler-Karriere schwinden. Warum zogen die mich als Lehrling auch immer in so was mit rein? Hatte der Herr Silber in der Einführungswoche nicht etwas von „Fürsorgepflicht“ der Bundespost ihren Beamten gegenüber erzählt? Ja, wo blieb denn die in meinem Fall??? Niemand passte auf mich auf, man überließ mich immer schutzlos sämtlichen Gelagen! Man stelle sich das einmal im Jahr 2014 vor: Welche Helikoptereltern hätten das denn zugelassen, dass ihren schutzbedürftigen kleinen siebzehnjährigen Lieblingen so etwas widerfährt? Da würden doch heutzutage

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