Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen
Biervertriebs, für den wir eigentlich nicht mehr taten, als Post ins Postfach zu legen, ausgeladen wurden: stapelweise Bierkisten! In allen mögliche Sorten! Pils, Alt – und: Bockbier!
Für Nicht-Biertrinker: Bockbier zählt zu den Starkbieren, deren Alkoholgehalt zwischen ca. 6 und 12% liegt. Ich schätze, unsere Weihnachtspräsente lagen im oberen Prozentbereich der Skala.
Uih , haben die rein gehauen, die Flaschen! Ich, der Bier-Newbie – und dann gleich Starkbier. Oioioi … Versuchen Sie mal, eine Paketnummer da hin zu kleben, wo sie hin soll, wenn sich der Paketschalter mitsamt allen Kleistertöpfe um Sie herum dreht. Die landet überall, nur nicht auf dem Paket. Nur gut, dass ich weder die Blicke noch die Kommentare der Kunden mehr mitbekommen habe.
Bekam übrigens auch sonst keiner mit, denn jeder der Kollegen hatte sich gleich mal ein bis zwei (Jürgen Schack vier…) Fläschchen des edlen Gesöffs einverleibt. Und so kicherten und torkelten alle hinter dem Paketschalter rum, egal, ob sie nun da arbeiteten oder eigentlich als Putzfrau eingestellt waren – Paaaarty!!!
Ich weiß bis heute nicht, wie überhaupt noch einer von uns gemerkt hat, wann achtzehn Uhr war und damit Zeit die Türen zu schließen – wahrscheinlich haben wir an diesem Tag Nachtschalter gemacht ohne es zu wissen. Das würde erklären, warum in den nächsten T agen immer noch Stunden nach Schalterschluss empörte Menschen gegen die Türen hämmerten…
Was sich meiner Erinnerung ebenso entzogen hat, ist die Sache mit dem Einschreiben. War das auch an jenem Bockbier-Abend geschehen? Jedenfalls: Dass es passiert ist, das ist sicher. Wir haben das Einschreiben über Nacht abgeschafft! Und das kam so…
Egal, wer da seinerzeit am Paketschalter Dienst schob, alle diese Menschen hatten eines gemeinsam: Sie hassten Einschreiben. Wenn da jemand in seinen Augenwinkeln auch nur einen Hauch von Absicht aufblitzen ließ, mit dem in seiner/ihrer Hand befindlichen Einschreibebrief – und hier lag die Betonung eindeutig auf Brief – in Richtung des Paketschalters zu gehen, dann schallte es ihm schon aus fünf Meter Entfernung entgegen:
„Hier nicht! Nur an den anderen Schaltern!“
Dazu legte jeder einen so dermaßen kalten Blick auf, dass sogar der selbst-bewussteste Kunde innerhalb von Millisekunden zu Eis erstarrte. Und wenn sich doch mal jemand traute, garstige Widerworte zu geben und zu fragen, warum denn da oben über dem Schalter dick und fett Einschreiben stünde, dann bekam er nur lapidar „Päckchen, nur Einschreibpäckchen!“ zu hören. Die konnten wir dummerweise nicht ablehnen, die gehörten in den Bereich Paketdienst. Aber ansonsten hatte Zucht und Ordnung zu herrschen, wir waren schließlich bei der Deutschen Bundespost und nicht umsonst Beamte. Wir hatten einen Ruf, dem mussten wir gerecht werden! Und so hielten wir uns strikt an die per Postordnung und sämtlicher Dienstanweisungen festgelegten Regeln – alles andere hätte die kompletten Arbeitsabläufe beim gelben Riesen empfindlichst gestört. Welch Aufwand wäre es schließlich gewesen, wenn unsereiner hätte wegen eines einzelnen Einschreibebriefes vom Paketschalter volle 5 Meter weit zur Postkiste am nächsten Briefschalter gehen müssen? Eindeutig zu viel verlangt, schließlich bekamen wir im Innendienst keine 2 Mark 50 Latschgeld am Tag wie die Briefträger, wir mussten neue Schuhsohlen aus der eigenen Tasche bezahlen! – Nein, nein, das sollte der Kunde mal schön selbst übernehmen. Für schlappe 2 Mark 10 konnte man keinen Sonderservice erwarten.
Aber nun stand dieses Wort Einschreiben nun mal in weißen Plastikbuchstaben, aufgeklebt auf die dreckig-türkisfarbene Furnierholzverkleidung, über dem Paketschalter. Und es gab keine Chance, es auf offiziellem Weg loszuwerden. Der Betriebsleiter Grothe hatte einen unverständlichen – und für die damalige Zeit völlig verfrühten – Hang zum Kundenservice; er ließ das böse Wort mit E vehement da kleben, wo es klebte, und erwartete zu allem Überfluss auch noch, dass jene vermaledeiten Briefe an der Paketannahme entgegen genommen wurden. Aber, unser Glück: Die meiste Zeit des Tages hockte er in seinem Büro und bekam nicht mit, dass wir uns revoluzzermäßig seinen Anordnungen widersetzten.
Jedoch hatten wir die ewigen Diskussionen mit den Leuten satt – wir mussten handeln!
Und so kam das Thema beim Bockbier- (oder eben einem vergleichbaren) Abend auf unsere Tagesordnung.
Lotte-Liese Hirschhügel
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