Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen
würde ich sagen: Der Mann war schon da drin, da dachte Konrad Adenauer noch nicht ans Kanzlerwerden.
Und jener Herr Wimmer schickte zu alle n oben genannten Glückstagen ein Telegramm raus. Jede und jeder, ob sie/er ihn nun gewählt hatte oder nicht, bekam den stets gleich formulierten und nur dem Anlass entsprechend leicht abgewandelten Standardtext geschickt – immer per Schmuckblatt natürlich, damals war der deutsche Staat noch nicht so in den Miesen wie heute, da konnte geprasst werden! Es ist davon auszugehen, dass der aufmerksame Willy die fünfzehn, zwanzig Mark nicht aus seiner Privatbörse bezahlt hat – so viel Menschenliebe wäre nahezu als abartig im Zusammenhang mit dem Berufsbild Politiker zu bezeichnen.
Bei Wikipedia ist unter Wimmers Eintrag der Satz zu lesen:
Bei den Bundestagswahlen 2009 kandidierte er nicht mehr.
Ja wunderbar! Dann ist der gute Mann ja in Rente und wird es verkraften zu erfahren, dass damals ein gewisser Prozentsatz an mit seinen Glückwünschen bedruckten Papierstreifen irgendwie auf rätselhafte Weise den direkten Weg vom Fernschreiber in den Papierkorb gefunden hat. Schließlich wussten die Empfänger nichts von Wimmers Hobby und vermissten demnach auch nix. Man musste sich ja nun wirklich nicht mehr Arbeit machen als nötig. Und außerdem wären zu viele Telegramme an einem Tag in unverantwortlicher Weise gesundheitsgefährdend gewesen – wären Willys Worte nicht im Müll gelandet, die ETSt-Bediensteten wären wahrscheinlich vor der Zeit verschieden. Entweder an Spermaschock, Urinluftüberdosis oder Froschvorläufertinitus – muss man einfach mal so sehen. Punkt. Aus. Ende der Diskussion.
Übrigens: War der Telegrammdienst zwischenzeitlich wegen der rasanten Entwicklung schnellerer Medien komplett eingestellt worden, hat die Post in mittlerweile wiederbelebt. Und hatte man sich in den Achtzigern über Preise u m die 20 Mark geärgert, so kann man heute getrost sagen: „Früher war alles besser.“
Denn heutzutage kostet ein Mini-Telegramm mit bis zu zehn Worten das Schnäpperken von 15,20 … Euro. Und für 19,40 gibt’s dann auch Musik inner Klappkarte – aber hey: Man geht mit der Zeit, es ist nicht mehr Happy Birthday , nein! Heute wird der Jubilar beglückt mit:
Hoch soll er leben!
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Gar nichts.
"Guten Tag, Frau Müller, gehen Sie eigentlich auch zu Figaros Hochzeit?"
"Nein, wir schicken nur ein Schmuckblatt-Telegramm, das muss reichen."
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Der Briefträger, das unbekannte Wesen
Da sieht man einen Menschen jeden Tag – und weiß trotzdem nichts von ihm. Was sich wie der Beginn einer Reportage über Ehen in Deutschland liest, soll in Wirklichkeit die Spezies Homo Sapiens näher beleuchten, die an sechs Tagen die Woche mit vollgepackten, oftmals bedenklich überladenen gelben Fahrrädern durch die Städte und Dörfer der Teutonen-Republik fährt und an der niemand so recht vorbei kommt, es sei denn, er hat ein Postfach gemietet. Die Rede ist von: Postboten, im Fachjargon auch Briefzusteller genannt.
Dein Briefträger, das unbekannte Wesen also. Die Damen und Herren von der strampelnden Zunft waren in Meerbusch in einem Extra-Haus untergebracht, daher sah ich sie eigentlich nie so wirklich, zumindest nicht so oft wie beispielsweise die Verteilfrauen oder die Kollegen vom Schalter. Klar, sie kamen mehrmals am Morgen aus ihrem Häuschen über den Posthof ins Hauptgebäude gelaufen, um dort die Postsendungen für ihren Bezirk aus den Fächern der Verteilregale zu zuppeln. Aber irgendwie blieben sie unter sich – und waren tatsächlich auch ein Völkchen für sich.
Man konnte die Briefträger grob gesehen in drei Arten unterteilen: die Hysterischen, die Gelassenen und die Lustigen. Für jede dieser Gruppen hier nun einmal je ein Fallbeispiel:
Die hysterische Heike etwa. Sie war eine der ganz wenigen, die man öfter sah als seine eigenen Schalterkollegen. Denn sie spielte mit sich selbst Hase und Igel. Gerade noch hatte man sie mit einem Stapel Post auf dem Arm zum Zustellerhaus rüber laufen sehen, dann drehte man sich um 180 Grad – und da lief sie auch schon wieder zwischen den Verteilspinden rum und grapschte nach weiteren Briefen. Okay, ich wusste, dass sie eine Zwillingsschwester hatte. Aber sie waren nicht eineiig – und ich war nicht doof; ich hatte sie schon noch auseinanderhalten
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