Geliebt
entrüstete sie sich. »Offenbar mussten alle Hexen einen furchtbaren Tod erleiden.«
»Sie waren keine Hexen«, sagte Caleb ernst.
Caitlin sah ihn an, als sie die Trauer in seiner Stimme hörte.
»Sie waren welche von uns«, fügte er hinzu.
Caitlin riss die Augen auf. »Vampire?«, fragte sie ungläubig.
Caleb nickte und blickte auf die Grabsteine.
Schweigen senkte sich über sie, während Caitlin über diese Information nachgrübelte.
»Ich verstehe nicht«, sagte sie schließlich. »Wieso waren sie hier?«
Caleb seufzte. »Es waren Puritaner. Sie wurden in England nicht wegen ihrer Reform des Christentums verfolgt. Sie wurden verfolgt, weil sie Vampire waren. Deshalb verließen sie Europa und kamen hierher. Um ungehindert leben zu können. Die europäischen Vampire versuchten, der Unterdrückung durch die alte Welt zu entfliehen. Sie wussten, dass sie eine neue Nation gründen mussten, um zu überleben. Also wanderten sie aus. Sie gehörten zu den guten Vampiren, sie wollten sich nicht mit anderen Vampiren oder mit Menschen bekriegen. Sie wollten bloß in Ruhe gelassen werden.
Aber im Laufe der Zeit folgten ihnen die bösen Vampire hierher, es wurden immer mehr. Die frühen Kriege in den Kolonien wurden nicht zwischen Menschen geführt, in Wahrheit handelte es sich um Kriege zwischen guten und bösen Vampirclans.
Die Hexenverfolgung in Salem war nur eine Fassade für die Verfolgung von Vampiren.
Wo Gutes ist, folgt Schlechtes. Es existiert ein immerwährender Kampf zwischen Licht und Dunkelheit. Die Hexen, die in Salem verfolgt und gehängt wurden, waren alle gute Vampire.
Deshalb würde es absolut Sinn ergeben, wenn dein Vater hier begraben wäre. Salem ist überhaupt naheliegend. Auch dein Kreuz ergibt Sinn. Alles deutet auf dasselbe hin, nämlich dass du die auserwählte Erbin bist. Der Schlüssel für die Suche nach dem Schwert, das sie versteckt haben und das uns alle retten soll.«
Caitlin ließ ihren Blick erneut über den Friedhof schweifen. Ihr schwirrte der Kopf von Calebs Bericht über die Geschichte der Vampire. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Aber eine Sache war klar: Hier gab es niemanden namens Paine . Sie befanden sich wieder in einer Sackgasse.
»Hier ist nichts«, sagte sie schließlich.
Caleb sah sich ein weiteres Mal aufmerksam um und sagte dann enttäuscht: »Du hast recht.«
Caitlin befürchtete, dass ihre Suche diesmal endgültig gescheitert war. Aber sie konnte nicht zulassen, dass sie hier endete.
»Die Rose und der Dorn, die Rose und der Dorn«, flüsterte sie immer wieder vor sich hin und wollte die Antwort erzwingen.
Aber es funktionierte nicht.
Caleb wanderte den Weg entlang, während Caitlin eine andere Richtung einschlug und dabei vor sich hin grübelte.
Bald entdeckte sie eine weitere Gedenktafel, die an einen Baum genagelt war. Zuerst las sie bloß, um sich abzulenken, aber je mehr sie las, desto aufgeregter wurde sie.
»Caleb!«, rief sie. »Komm schnell her!«
Er eilte zu ihr.
»Hör dir das an: Nicht alle Hexen, die verfolgt wurden, liegen auf diesem Friedhof begraben. Tatsächlich handelt es sich nur um einen Bruchteil. Auf der Liste der ›Beschuldigten‹ standen über einhundertdreißig weitere Hexen. Einige entkamen, manche wurden woanders begraben. Die vollständige Liste befindet sich in den Aufzeichnungen des Museums .«
Sie sahen sich an und dachten beide das Gleiche. Unvermittelt drehten sie sich um und starrten auf das Museum am Rande des Friedhofs.
***
Die Sonne stand schon tief, als sie das Museum erreichten, und die Eingangstür wurde ihnen buchstäblich vor der Nase zugeschlagen. Caleb trat vor, streckte die Hand aus und verhinderte, dass sie ganz geschlossen wurde.
Das verdrießliche Gesicht einer alten Dame erschien im Türspalt.
»Tut mir leid, aber für heute ist Feierabend«, sagte sie. »Kommen Sie doch morgen wieder, wenn Sie möchten.«
»Entschuldigen Sie bitte«, antwortete Caleb höflich, »wir brauchen nur wenige Minuten. Leider können wir morgen nicht wiederkommen.«
»Fünf Uhr ist schon vorbei«, erwiderte sie barsch. »Wir schließen jeden Tag um fünf. Es gibt keine Ausnahmen, so sind die Regeln. Ich kann dieses Museum nicht für jeden offen halten, der später kommt. Wie ich bereits sagte, können Sie morgen wiederkommen. Guten Abend.«
Erneut wollte sie die Tür schließen, doch Caleb hinderte sie wieder daran. Zum zweiten Mal erschien ihr Gesicht im Türspalt – diesmal richtig
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