Geliebte der Finsternis
vergisst er es in fünf Minuten. Und er wird das Anwesen gar nicht erst verlassen. Wenn ich den Leuten einen Auftrag erteilen will, muss das jemand anderer für mich übernehmen. Meistens Ash, Chris oder mein Freund Talon. Oder ich schicke meinem Personal E-Mails. Aber jetzt wäre eine E-Mail zu umständlich.«
Meinte er das ernst?
»Am besten begleite ich den Mann.« Kat legte ihr Buch beiseite. »Was Cass braucht, weiß ich. Außerdem will ich ein paar Sachen für mich selber holen.«
Das richtete Wulf seinem Wachtposten aus. Dann reichte er Cassandra das Handy noch einmal und wies sie an, jedes Wort zu wiederholen.
Nachdem sie seinen Wunsch erfüllt hatte, drückte sie auf die Aus-Taste. Heiliger Himmel, und sie hatte gedacht, ihr Leben wäre kompliziert. »Also können sich die Menschen nicht einmal an ein Telefongespräch mit dir erinnern?«
»Nein, nie.«
»Wie hältst du Chris unter Kontrolle? Könnte er ihnen nicht erzählen, du hättest ihm gesagt, er dürfte weggehen?«
Lachend schüttelte Wulf den Kopf. »Unmöglich. Jede Instruktion, die seine Sicherheit betrifft, muss von Acheron bestätigt werden. Das weiß der Junge. Ohne eine direkte Order von Ash rühren die Sicherheitsbeamten keinen Finger.«
Wow, der Mann dachte wirklich an alles.
Lächelnd beobachtete Kat, wie Cassandra die Kleidung für die Nacht ergriff, die Wulf ihr gebracht hatte. »Freut mich, wie gut du mit der Situation zurechtkommst. Und Wulf auch. Dadurch wird vieles leichter.«
Cassandra nickte. Ja, in der Tat.
Inständig wünschte sie, Wulf könnte ihr apollitisches Erbe genauso akzeptieren wie die Existenz des Babys. Andererseits - was würde es nützen, wo sie doch ohnedies bald sterben musste?
Nun, vielleicht war es so am besten. Wenn sie nur ein paar Monate zusammen verbrachten, würde er nicht um sie trauern.
Nein, flüsterte eine innere Stimme, von Wulf wollte sie etwas mehr - was sie in ihren Träumen geteilt hatten.
Sei nicht so selbstsüchtig.
Bei diesem Gedanken schluckte sie. Natürlich, um Wulf zu schonen, musste sie sich von ihm fernhalten. Wenn ihr Tod ihm Kummer bereiten würde … Nein, das wollte sie nicht.
Je weniger Leute um sie trauerten, desto besser. Niemand sollte ihretwegen so schmerzlich leiden, wie sie nach dem Tod ihrer Mutter und ihrer Schwestern gelitten hatte. Kein Tag verging, ohne dass sie daran dachte. Ohne die bittere Erkenntnis, sie würde ihre geliebten Verwandten nie wiedersehen
Das T-Shirt und die Jogginghose über einem Arm, folgte sie Wulf durch sein Haus. In seiner Nähe klopfte ihr Herz schneller. Niemals hätte sie gedacht, sie wäre zu solchen Gefühlen fähig.
»Was für ein fantastisches Domizil«, meinte sie.
Mit gerunzelter Stirn sah er sich um, als hätte er seine Umgebung schon lange nicht mehr wahrgenommen. »Danke. Dieses Haus hat Christophers Ururgroßmutter um die vorige Jahrhundertwende bauen lassen. Sie hatte fünfzehn Söhne, und sie brauchte genug Platz, um sie und danach die Enkelkinder aufzuziehen.« Wann immer er von seiner Familie sprach, nahm seine Stimme einen zärtlichen Klang an. Offensichtlich hatte er jeden Einzelnen seiner Angehörigen innig geliebt.
»Warum ist nur Chris übrig geblieben?«
Tiefe Trauer verdunkelte seine Augen, und ihr Herz flog ihm entgegen. »Der älteste Sohn, einige seiner Vettern und sein Onkel starben, als die Titanic unterging. 1918 tötete eine Grippewelle drei andere Söhne, zwei wurden steril. Und vier fielen im Krieg. Zwei starben schon in der Kindheit,
einer als junger Mann bei einem Jagdunfall. Die beiden restlichen, Stephen und Craig, heirateten. Stephen bekam einen Sohn und zwei Töchter. Im Zweiten Weltkrieg fiel der Sohn, eine Tochter wurde mit zehn Jahren von einer schweren Krankheit dahingerafft. Die andere starb im Kindbett, bevor das Baby zur Welt kam.«
Die Verzweiflung, die in seiner Stimme mitschwang, tat Cassandra in der Seele weh. Wie unglücklich musste er bei jedem einzelnen Todesfall gewesen sein.
»Craig hatte vier Söhne. Einer fiel im Zweiten Weltkrieg, einer starb als kleiner Junge, einer kam zusammen mit seiner Frau bei einem Autounfall ums Leben. Und der letzte war Chris’ Großvater.«
»Tut mir so leid.« Mitfühlend berührte sie seinen Arm. Kein Wunder, dass er Chris mit Argusaugen bewachte. »Erstaunlich, wie vielen deiner Verwandten du erlaubt hast, in den Krieg zu ziehen.«
Er umfasste ihre Hand, und sein Blick verriet ihr, wie sehr er die Berührung zu würdigen wusste. »Glaub
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