Geliebte der Nacht
Gabrielle fand die Wirkung nicht unbedingt einladend. Das Herrenhaus ragte drohend wie ein aufmerksamer Wachtposten aus dem Dunkel der Nacht. Es wirkte stoisch und abschreckend mit seinen vielen steinernen Wasserspeiern, knurrenden, fratzengesichtigen Figuren, die vom Dach und den zwei vorderen Balkonen auf sie herabstarrten.
Lucan fuhr am Haupteingang vorbei und um das Haus herum zu einem großen Hangar dahinter. Ein Tor hob sich, und er lenkte den schnurrenden Maybach hindurch, hielt an und machte den Motor aus. Bewegungsmelder klickten leise, als die beiden aus dem Auto stiegen, und eine Reihe von Lampen ging an und beleuchtete eine Flotte aus chromblitzenden Luxusfahrzeugen.
Gabrielle riss die Augen auf. Mit dem Maybach, der so viel kostete wie ihre Eigentumswohnung in Beacon Hill, und dieser ganzen Sammlung von Autos, Geländewagen und Motorrädern blickte sie wohl auf einen Fuhrpark, der Millionen Dollar wert war. Viele Millionen.
„Hier entlang“, sagte Lucan, die Reisetasche mit den Fotos in der Hand, und führte Gabrielle an dem beeindruckenden Fuhrpark vorbei zu einer unbeschilderten Tür nahe der Rückseite der Garage.
„Wie reich seid ihr Leute eigentlich?“, fragte Gabrielle, die erstaunt hinter ihm hertrottete.
Lucan bedeutete ihr, dass sie eintreten sollte, als die Tür aufglitt. Dann folgte er ihr in den Fahrstuhl und drückte einen Knopf an dem Schaltpult. „Ein paar Angehörige des Vampirvolkes existieren schon sehr lange. Wir haben mit der Zeit gelernt, unser Vermögen klug zu verwalten.“
„Aha“, sagte sie und fühlte sich ein wenig aus dem Gleichgewicht, als der Aufzug sanft, aber schnell abwärts zu gleiten begann, tiefer und tiefer und tiefer. „Wie schafft ihr es, das alles vor der Öffentlichkeit zu verstecken? Was ist mit Regierung und Steuern?“
„Die Öffentlichkeit kommt an unseren Sicherheitsvorkehrungen nicht vorbei, selbst wenn jemand es versucht. Die gesamte Grenze des Grundstücks besteht aus einem Hochsicherheitszaun. Jeder, der dumm genug ist, dem Grundstück zu nahe zu kommen, kriegt einen elektrischen Schlag von tausend Volt und eine Gehirnwäsche, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Und wir bezahlen Steuern – natürlich über die Fassade von seriösen Firmen. Unser Eigentum befindet sich überall auf der Welt im Besitz von privaten Treuhandgesellschaften. Alles, was der Stamm tut, ist sauber und einwandfrei.“
„Sauber und einwandfrei, klar.“ Sie lachte leicht nervös. „Über die Blutsaugerei und die außerirdische Herkunft muss man einfach hinwegsehen.“
Lucan sah sie finster an, aber dann bemerkte sie erleichtert, dass sich sein Mundwinkel eine Spur hob, was als Lächeln durchgehen konnte.
„Ich nehme jetzt die Daten“, sagte er, und seine durchdringenden, klaren grauen Augen ruhten auf ihr, als sie die Speicherstifte aus der Jeanstasche zog und ihm in die Hand legte.
Für eine Sekunde umschloss er ihre Finger mit seinen. Gabrielle spürte seine Leidenschaft, aber sie ließ es ihn nicht merken. Sie wollte nicht eingestehen, was für ein Gefühl selbst seine leichteste Berührung in ihr hervorrief, auch jetzt.
Insbesondere jetzt.
Endlich hielt der Aufzug, und die Tür glitt auf. Dahinter lag ein leerer Raum mit gläsernen Wänden, die durch schimmernde Metallrahmen verstärkt waren. Der Boden bestand aus weißem Marmor und Intarsien: geometrische Symbole und ineinander verwobene Muster. Bei einigen dieser Muster erkannte Gabrielle, dass sie denen glichen, die Lucan auf dem Körper trug – die fremdartigen, schönen Tätowierungen, die seinen Rücken und Rumpf bedeckten.
Nein, keine Tätowierungen, das wurde ihr jetzt klar, sondern etwas … anderes.
Vampirmale.
Auf seiner Haut und hier, in diesem unterirdischen Bunker, in dem er lebte.
Auf der anderen Seite dieses Portals erstreckte sich ein Gang, der wohl mehrere hundert Meter lang war. Lucan schritt darauf zu, hielt dann inne und schaute sich nach Gabrielle um. Sie zögerte.
„Du bist hier sicher“, erklärte er, und Himmel, sie glaubte ihm tatsächlich.
Sie trat mit Lucan auf den schneeweißen Marmor hinaus und hielt den Atem an, als er seine Handfläche gegen ein Lesegerät drückte und die Glastüren des kleinen Raumes sich öffneten. Kühle Luft umgab sie in dem Gang dort draußen. Gabrielle vernahm das gedämpfte tiefe Murmeln männlicher Stimmen, die irgendwo ein Stück weiter miteinander redeten. Lucan führte sie in die Richtung dieses Gesprächs, seine langen Schritte
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