Geliebte der Nacht
langsam von Kopf bis Fuß musterte.
„Diese Webarbeit ist unglaublich gut.“
„Sie ist sehr alt“, er trat näher und starrte Gabrielle an. „Aber ich nehme an, das weißt du mittlerweile.“
„Sie ist wunderschön. Und du siehst so wild aus, als wärst du bereit, es mit der ganzen Welt aufzunehmen.“
„Das war ich auch.“ Er warf einen Blick auf den Wandteppich und schmunzelte. „Ich ließ das Werk ein paar Monate nach dem Tod meiner Eltern anfertigen. Das Schloss, das im Hintergrund brennt, gehörte meinem Vater. Ich habe es dem Erdboden gleichgemacht, nachdem ich ihm den Kopf abgeschlagen hatte, weil er meine Mutter in einem Anfall von Blutgier getötet hat.“
Gabrielle keuchte auf. Etwas Derartiges hatte sie nicht erwartet. „Mein Gott. Lucan …“
„Ich fand sie in einer Blutlache in unserer Halle, die Kehle aufgerissen. Er versuchte nicht einmal, gegen mich zu kämpfen. Er wusste, was er getan hatte. Er hatte sie geliebt, so sehr, wie einer von seiner Art das konnte, aber sein Durst war stärker. Er konnte seine Natur nicht verleugnen.“ Lucan zuckte mit den Schultern. „Ich habe ihm einen Gefallen getan, indem ich seiner Existenz ein Ende setzte.“
Gabrielle nahm seinen kühlen Gesichtsausdruck wahr. Sie fühlte sich genauso betroffen von dem, was sie soeben gehört hatte, wie von dem gleichgültigen Ton, in dem er es berichtet hatte. Jeder romantische Reiz, den sie noch vor einer Minute in dem Wandbildteppich gesehen hatte, verschwand unter dem Schatten der Tragödie, die er in Wahrheit wiedergab.
„Warum wolltest du etwas so Schönes als Erinnerungshilfe an so eine grauenhafte Begebenheit?“
„Grauenhaft?“ Er schüttelte den Kopf. „Mein Leben begann in jener Nacht. Ich hatte nie ein richtiges Ziel gehabt, bis ich bis zu den Knöcheln im Blut meiner Familie watete und mir klar wurde, dass ich etwas ändern musste – für mich selbst und für den Rest meines Volkes. In dieser Nacht erklärte ich den letzten verbliebenen Alten der Alienrasse meines Vaters den Krieg. Und ebenso allen Angehörigen des Stammes, die ihnen als Rogues dienten.“
„Das ist eine lange Zeit für einen Krieg.“
„Ich hätte viel früher damit anfangen sollen.“ Lucan bedachte Gabrielle mit einem stählernen Blick. Und warf ihr dann ein kaltes Lächeln zu. „Ich werde niemals aufhören. Das ist das, wofür ich lebe – der Tod ist mein Gewerbe.“
„Eines Tages wirst du siegen, Lucan. Dann wird die ganze Gewalt endlich vorbei sein.“
„Das meinst du, ja?“, erwiderte er gedehnt, und in seiner Stimme lag eine Spur Hohn. „Und worauf gründet sich diese Zuversicht? Auf siebenundzwanzig kurze Lebensjahre?“
„Sie gründet sich zunächst einmal auf Hoffnung. Auf Vertrauen. Ich muss einfach glauben, dass das Gute immer siegen wird. Du nicht? Ist das nicht der Grund, warum ihr tut, was ihr tut – du und die anderen, die hier bei dir sind –, weil ihr die Hoffnung habt, dass ihr die Welt besser machen könnt?“
Er lachte. Er blickte ihr tatsächlich direkt in die Augen und lachte. „Ich töte Rogues, weil ich das genieße. Ich bin verdammt gut darin. Zu den Motiven der anderen kann ich nichts sagen.“
„Was ist mit dir los, Lucan? Du wirkst so …“ – Stinksauer? Streitlustig? Ein bisschen psychotisch? – „Du benimmst dich hier anders als früher, wenn du mit mir zusammen warst.“
Er durchbohrte sie mit einem vernichtenden Blick. „Für den Fall, dass du es noch nicht bemerkt hast, meine Süße, du befindest dich jetzt in meiner Domäne. Die Dinge laufen hier anders.“
Die Abgebrühtheit, die er an den Tag legte, erstaunte sie, aber was Gabrielle wirklich nervös machte, war die Wut, die in seinen Augen brannte. Sie waren zu hell und hart wie Kristalle. Seine Haut war gerötet und spannte sich zu straff über seinen Wangenknochen. Und als sie jetzt genauer hinsah, erblickte sie einen dünnen Schweißfilm auf seiner Stirn.
Reine, rasende Wut entströmte ihm in Wellen. Er wirkte, als ob er irgendetwas mit bloßen Händen zerreißen wollte.
Und wie es der Zufall wollte, war sie im Augenblick das Einzige, was ihm über den Weg lief.
Schweigend schritt er an ihr vorbei und ging auf eine geschlossene Tür neben einem der großen Bücherschränke zu. Sie öffnete sich, ohne dass er sie berührte. Im Inneren war es so dunkel, dass Gabrielle erst annahm, es sei nur ein Wandschrank. Aber dann trat Lucan in die Dunkelheit, und sie hörte seine schweren Schritte auf einem
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