Geliebte der Nacht
Hartholzboden hallen. Offensichtlich handelte es sich um einen verborgenen Geheimgang des Quartiers.
Gabrielle stand still da und hatte das Gefühl, nur knapp einem gewaltigen Sturm entgangen zu sein, der imstande war, alles zu zermalmen. Sie ließ den Atem entweichen, den sie angehalten hatte. Vielleicht sollte sie ihn einfach in Ruhe lassen. Sich glücklich schätzen, ihm im Moment nicht in die Quere kommen zu müssen. Er wollte ihre Gesellschaft eindeutig nicht, und sie war sich auch überhaupt nicht sicher, dass sie ihn in ihrer Nähe haben wollte, wenn er so war.
Aber irgendetwas war mit ihm los – etwas stimmte entschieden nicht mit ihm. Sie musste herausfinden, was das war.
Sie schluckte ihren eigenen Anflug von Angst herunter und folgte ihm.
„Lucan?“ Auf der anderen Seite der Tür gab es überhaupt kein Licht. Da war nichts als Schwärze und das stetige Hallen von Lucans Stiefelabsätzen. „Gott, es ist so dunkel hier. Lucan, warte einen Moment. Rede mit mir.“
Sein zügiger Schritt vor ihr veränderte sich nicht. Lucan schien sie mit Bedacht hinter sich zu lassen. Vielleicht wollte er unbedingt von ihr weg.
Gabrielle bahnte sich ihren Weg durch die Dunkelheit, so gut sie konnte, die Hände zu beiden Seiten ausgestreckt, um dem gewundenen Gang besser folgen zu können.
„Wohin gehst du?“
„Raus.“
„Warum?“
„Ich habe es dir gesagt.“ In der Gegend, aus der Lucans Stimme erklang, öffnete sich mit einem Klicken ein Riegel. „Ich habe eine Aufgabe zu erledigen. In letzter Zeit war ich darin sehr nachlässig.“
Ihretwegen.
Er sprach es nicht aus, aber ihr war klar, was er meinte.
„Ich muss hier raus“, knurrte er kurz angebunden. „Höchste Zeit, dass ich meiner Strichliste noch ein paar Kerben verschaffe.“
„Die Nacht ist schon halb vorbei. Vielleicht solltest du dich lieber etwas ausruhen. Du wirkst auf mich nicht so, als ob es dir gut ginge, Lucan.“
„Ich muss kämpfen.“
Seine Schritte hatten aufgehört, dafür vernahm sie irgendwo vor sich in der Dunkelheit ein Rascheln wie von Stoff. Anscheinend war er stehen geblieben und legte seine Kleidung ab. Gabrielle schob sich weiter auf die Geräusche zu, die er verursachte. Sie hielt die Hände ausgestreckt, um sich in der scheinbar endlosen pechschwarzen Dunkelheit zu orientieren. Ihrem Gefühl nach befanden sie sich nun in einem anderen Raum; zu ihrer Rechten war eine Mauer. Gabrielle nutzte sie als Führung, als sie sich mit vorsichtigen Schritten weitertastete.
„In dem anderen Raum eben sah dein Gesicht ganz rot aus. Und deine Stimme klingt … merkwürdig.“
„Ich muss Nahrung zu mir nehmen.“ Die Worte waren leise und klangen tödlich, eine unverkennbare Drohung.
Spürte er, dass Gabrielle zurückschreckte? Offenbar ja, denn er lachte leise und kalt auf, mit sarkastischem Humor, als amüsiere ihn ihr Unbehagen.
„Aber du hast schon Nahrung zu dir genommen“, erinnerte sie ihn. „Erst letzte Nacht. Hast du nicht genug Blut getrunken, als du diesen Lakaien getötet hast? Ich dachte, ihr müsstet nur alle paar Tage Nahrung aufnehmen?“
„Du bist schon Expertin auf dem Gebiet, ja? Ich bin beeindruckt.“
Stiefel fielen mit einem dumpfen Aufprall zu Boden, einer nach dem anderen.
„Können wir hier ein Licht anmachen? Ich kann dich nicht sehen –“
„Kein Licht“, fuhr er sie an. „Ich kann dich sehr gut sehen. Ich kann deine Angst riechen.“
Sie hatte tatsächlich Angst, aber im Augenblick nicht so sehr um sich selbst, sondern mehr um ihn. Er war mehr als gereizt. Die Luft um ihn herum schien vor roher Wut zu pulsieren. Die Wellen davon trafen Gabrielle in der Dunkelheit, eine unsichtbare Macht, die sie zurückdrängte.
„Habe ich irgendwas falsch gemacht, Lucan? Sollte ich nicht hier in eurem Quartier sein? Falls du diesbezüglich deine Meinung geändert hast, muss ich dir sagen, dass ich selber auch nicht sicher bin, ob es eine gute Idee war, dass ich mitgekommen bin –“
„Für dich gibt es im Augenblick keinen anderen Ort.“
„Ich will nach Hause in meine Wohnung.“
Sie empfand schlagartig ein Gefühl von Hitze, das von ihren Armen nach oben glitt, als habe er ihr soeben einen tödlichen Blick zugeworfen. „Du bist gerade erst hergekommen. Und du kannst nicht zurück. Du bleibst, bis ich anders entscheide.“
„Das klingt aber verdammt nach einem Befehl.“
„Das ist es auch.“
Okay, jetzt war er nicht mehr der Einzige, der vor Zorn bebte. „Ich will mein Handy
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