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Geliebte des Feuers

Geliebte des Feuers

Titel: Geliebte des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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nur einen Ort, wo ich sein werde, nämlich an deiner Seite. Ich möchte nirgendwo anders sein, und ich werde auch niemals woanders sein. Das ist die reine Wahrheit.«
    Seine Worte hatten etwas Endgültiges, eine Entschlossenheit, die sie erschreckte und zugleich begeisterte. Wie damals, als der gesunde Menschenverstand nur ein Mythos gewesen war, eine Fantasie, wo die Realität nur aus Wundern und Zufällen zu bestehen schien, aus Mut und Ruhm. Die Straßen waren einmal ihr Spielplatz gewesen, ihr tiefer, dunkler Wald, ihr Königreich. Sie waren beide Draufgänger gewesen, Ritter und Könige. Und sie waren immer auf der Flucht gewesen.
    Er ist wieder da, flüsterte eine Stimme in ihrem Herzen. Lass ihn nicht gehen.
    Lass ihn nicht gehen. Niemals wieder.
    Sie landeten ohne Schwierigkeiten, und die Zollabfertigung in Hongkong verlief ebenso wie in Taiwan: privilegiert, schnell und extrem effizient. Miri kam sich wie ein Staatsoberhaupt vor, als sie das Flugzeug verließ und von einem korpulenten, schmierigen Beamten begrüßt wurde, dem das Kunststück gelang, sich gleichzeitig Luft zuzufächeln und dabei vollkommen professionell auszusehen. Ein Kleinbus wartete bereits und setzte Miri, Dean und Koni nach einer kurzen Fahrt am Hauptgebäude des Flughafens ab.
    Geschäfte und Restaurants säumten die breiten Gänge.  Miri blickte aus den großen Fenstern auf den Ozean. Grüne Berge mit nebelverhangenen Gipfeln ragten aus dem Wasser empor. Große Säulen stützten gläserne Promenaden und bunte Plakatwände. Auf einigen war eine Person zu sehen, die den dreien einen zweiten Blick abnötigte, weil sie die bleiche Visage nur zu gut kannten, die hier in ihrem gargantuesken Glanz abgebildet war.
    »Jedenfalls wird er nie wieder als Model arbeiten«, sagte Miri, während sie in das rätselhafte Gesicht starrte. »Lysander hat ihm ein Ohr abgerissen und es verspeist.«
    »Himmel!«, stöhnte Koni. »Das hättest du mir wirklich nicht erzählen müssen!«
    »Sei froh, dass du es nicht selbst mit ansehen musstest«, erwiderte sie, was dem Gespräch ein abruptes Ende machte.
    Sie hatten kein Gepäck bei sich. Im unteren Stockwerk des Terminals fanden sie den Bahnsteig, von dem aus der Zug in die Stadt fuhr. Während sie warteten, hielten Koni und Miri Wache, und Dean schloss die Augen. Er erntete einige neugierige Blicke, aber das war nichts Bedrohliches. Einige alte Chinesinnen musterten ihn und richteten ihren prüfenden Blick dann auf Miri. Ihre Mienen verdüsterten sich, aber Miri ignorierte sie. Sie konnte sich sehr genau vorstellen, was sie dachten, und das war ihr keineswegs neu. Eine chinesische Frau, die mit zwei Ausländern durch Asien reiste? Sie wurde automatisch als Abschaum betrachtet, als eine er-nai, die kaum mehr galt als eine gemeine Hure.
    Die Welt ist voller Erwartungen und Annahmen, dachte sie, von denen nur wenige jemals zutreffen.
    Dean rieb sich die Brust, die Stelle über seinem Herzen. »Wir müssen hier weg.«
    »Spürst du etwas?«, erkundigte sich Miri.
    »Bin mir nicht sicher«, antwortete er. »Aber ich will nicht so lange hier herumhängen, bis ich es ganz genau weiß.«
    Der Zug fuhr ein. Es war ein moderner Zug, schlank und weiß. Rasch stiegen sie ein. Niemand versuchte ihnen zu folgen, und nach einer Weile schlossen sich zischend die Türen. Der Zug fuhr an und wurde rasch schneller. Miri ließ sich auf den Sitz fallen. Sie bewegte sich nicht, als sie in die Sonne hinausfuhren, die durch den bewölkten Himmel lugte, weg vom Flughafen, vorbei an Ozean und Felsen, den grünen Bergen, deren Gipfel im Nebel verschwanden.
    Sie waren die Einzigen im Abteil. Dean rieb sich nicht mehr die Brust, aber er hatte die Hand auf sein Herz gelegt, als bereitete es ihm Schmerzen. Koni beobachtete ihn argwöhnisch. »Dieser Zug hält ein paarmal«, sagte er. »Willst du bis in die Stadtmitte fahren, bevor du >heiß oder kalt< mit der Jade spielst?«
    »Das ist besser als nichts«, erwiderte Dean und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Seine Hand lag locker auf seinem Schoß und wippte im Rhythmus des Zuges gegen seinen Schenkel. Miri konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass er sie am liebsten an seine Brust gedrückt hätte.
    Schließlich verließen sie den Zug mitten im Geschäftsviertel, in der Nähe des Hafens. Miri roch das Meer, schmeckte das Salz in dem heißen Wind. Die Feuchtigkeit legte sich auf ihre Lungen und ließ sie noch träger werden. Sie sehnte sich nach Ruhe.
    Und eine Weile

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