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Geliebte des Feuers

Geliebte des Feuers

Titel: Geliebte des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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die Kabine treten und warf einen Blick auf ihn. Dean sah offenbar genauso verwirrt aus, wie er sich fühlte. Denn der Mann trat zurück und lächelte schwach. Es war ein Lächeln, bei dem Dean sich fühlte, als wäre er der Hund eines reichen Mannes. Ruf die Meute, schnapp dir die Flinte, und zieh dicke Handschuhe an.
    Dean störte das nicht. Er fühlte sich wie tollwütig. Er berührte seinen Mund, konnte aber keinen Schaum ertasten. Der ganze Wahnsinn fand also nur in seinem Kopf statt. Er glühte. Er hatte eine gottverdammte Glühbirne unter seiner Haut. Herr im Himmel!
    Der Aufzug hielt wieder an, diesmal an Deans Ziel. Dean schlug gegen die Türen, hielt sie einen Moment lang auf, während er sich gegen die glänzende Metallwand des Lifts lehnte. Überall waren Kameras angebracht. Vermutlich beobachtete ihn sogar in diesem Augenblick jemand, aber auch das kümmerte ihn nicht. Er konnte einfach seine Augen nicht von der Wunde losreißen. Er wartete zu lange. Die Türen versuchten sich zu schließen, schoben sich gegen seinen Arm.
    Die Frau, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. Denk an sie.
    Dean schloss die Augen und sah zur Seite. Dann drückte er den Kragensaum des T-Shirts fest gegen seinen Hals und trat aus dem Aufzug. Im Flur blieb er stehen, holte einmal tief Luft und versuchte das Brennen zu ignorieren, den Schmerz, die Erinnerung an das Licht.
    Dann lief er los.
    In den Fluren war es ruhig. Viel zu ruhig, so schien es. Die Energiespuren, die kreuz und quer über den Teppich verliefen, waren alt, als wäre seit einem Tag niemand mehr durch diesen Flur gegangen. Das war merkwürdig. Die oberen Etagen des Hotels waren normalerweise beliebter, weil sie einen besseren Blick und mehr Prestige boten. Doch als Dean weiterging, stieß er nur auf eine neue Spur, die aus dem Treppenhaus in den Flur führte, vom Notausgang her.
    Er hatte ein schlechtes Gefühl, als er in diesen Energiestrom trat. Ein Schauer überlief ihn, als würde er durch eine Wolke von Elektrizität treten. Ein solches Gefühl hatte er erst ein- oder zweimal empfunden.
    Alter und Macht, dachte er, als er sich an seine einzige Post-mortem -Begegnung mit einem sehr gefährlichen Mann erinnerte. Ein Unsterblicher, ein Magier, ein widerlicher alter Knacker, der versucht hatte, Deans besten Freund zu erledigen. Die Energie des Magiers hatte sich genauso angefühlt, selbst nach seinem Tod, nur war sie viel stärker gewesen. Als könnte sie das Haar von Deans Körper sengen, wenn er zu lange darin verweilte.
    Schließlich erreichte er das Zimmer, dessen Nummer auf dem Zettel notiert stand. Die Energiesignatur endete hier, und er warf seinen Verstand in die Spur, ließ sich davon durch die Tür in den Raum tragen, in das dämmrige Licht hinein, ritt wie ein Cowboy auf einem bockenden Bronco aus Alpträumen, öffnete die Augen, sah eine Bewegung, sah Haut, sah ...
    Einen nackten Körper, der festgehalten wurde und sich wehrte. Und ein Gesicht, das zu diesem Körper gehörte.
    Dean griff sich an die Brust, weil sie so schmerzte. Sie tat höllisch weh, und zum ersten Mal seit zwanzig Jahren erinnerte er sich, dass es in seinem Herzen eine Grenze gab, ein Mal, einen Ort, den niemand, auch er nicht, betreten durfte. Er selbst hatte ihn vergessen, doch in diesem Moment, erfüllt von dem Bild der Frau, erblickte er ihn, berührte ihn, fühlte, wie er am Rand des Wahnsinns stand. Es war ein guter Ort. Der einzige Ort. Denn sie war da, und jetzt endlich gestattete er es sich, das auch zu glauben. Er sprach sogar ihren Namen aus, hauchte ihn, immer und immer wieder, bis er nur noch dieses Geräusch machte - und es das einzige Geräusch in seinem Kopf war. Er warf sich gegen die Tür, ritt auf der Spur der Seele eines anderen, beobachtete mit seinem geistigen Auge den Kampf, den blutigen Kampf, der nur wenige Schritte von ihm entfernt stattfand.
    Er sah es und zog seine Pistole.

2
    Der Morgen dieses Tages hatte für Professor Mirabelle Lee wie ein ganz gewöhnlicher Montag begonnen, nämlich mit dem Tod. Dem Tod und seinen Überbleibseln, die fast überall aus Amuletten und Glücksbringern bestanden. Hätte sie gewusst, dass der Abend dieses Tages noch wesentlich mehr davon bringen würde, wenngleich auch in einer weit schillernderen Art und Weise, so wäre sie vermutlich in ihrem Hotelzimmer geblieben und hätte ihren freien Tag genossen, in dieser anstrengenden Woche voll von Gastvorlesungen und ermüdenden Dinnerpartys. Sie hätte stattdessen geschlafen und

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