Geliebte Feindin
Ihr wiederkommt, Madam.«
Sara eilte die Vordertreppe hinauf und betätigte den Türklopfer. Sie mußte rasch in das Haus gelangen, da sie fürchtete, von ihren Verwandten entdeckt zu werden oder den Mut zu verlieren, bevor sie ihr Vorhaben ausgeführt hatte.
Die Tür öffnete sich, und ein großer, hochnäsig wirkender Mann mit tiefen Krähenfüßen in den Augenwinkeln tauchte vor Sara auf. Obwohl seine Erscheinung ziemlich unheimlich war, verrieten seine blitzenden dunklen Augen, daß er nichts Böses im Sinn hatte.
»Was kann ich für Euch tun, Madam?« fragte der Butler hochmütig.
»Ich muß Lady Jade sofort sprechen, Sir«, erwiderte Sara, während sie über ihre Schulter spähte, um sich zu vergewissern, daß sie niemand beobachtete. »Bitte, laßt mich ein.«
Der Butler trat einen Schritt beiseite, und Sara beeilte sich, in die Halle zu gelangen. Sie bat ihn die Tür zu schließen und zu verriegeln.
»Ich hoffe inständig, daß Eure Herrin zu Hause ist«, sagte sie dann, »sonst wüßte ich nicht mehr, was ich tun soll.« Schon bei der Vorstellung, daß sich Jade außer Haus aufhalten könnte, brannten wieder die Tränen in ihren Augen.
»Lady Jade ist hier«, erklärte der Butler.
»Gott sei Dank.«
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des älteren Mannes.
»Ja, Madam, ich habe Gott auch schon oft gedankt, daß er sie uns geschickt hat.« Dann fuhr er lebhafter fort: »Wen darf ich melden?«
»Lady Sara«, platzte sie heraus und ergriff die Hand des Butlers. »Und bitte beeilt Euch, Sir, sonst verliere ich den Mut, ihr gegenüberzutreten.«
Der Butler wurde allmählich neugierig. Die arme unglückliche Frau drückte seine Hand so fest, daß sie ihm fast die Knochen brach. »Ich würde mich gern beeilen, Lady Sara, wenn Ihr nur meine Hand loslassen würdet.«
Sara, der erst jetzt auffiel, daß sie ihn festhielt, gehorchte sofort und stammelte: »Ich bin ziemlich durcheinander, bitte verzeiht mir mein schlechtes Benehmen.«
»Natürlich, Mylady. Könnt Ihr mir Euren Nachnamen verraten?«
Diese Frage brachte sie endgültig um ihre Fassung und sie brach augenblicklich in Tränen aus. »Ich bin als Lady Sara Winchester geboren«, schluchzte sie. »Aber dann wurde ich Lady St. James – ich fürchte, mein Name wird sich bald wieder ändern. Ich vermute, man wird mich Dirne nennen. Alle Welt glaubt wahrscheinlich, daß ich in Sünde gelebt habe, Sir, aber das stimmt nicht.« Sie hielt inne, um sich die Tränen mit dem Taschentuch, das der Butler ihr gereicht hatte, abzuwischen, dann fügte sie bitter hinzu: »Vermutlich wäre es das beste, wenn Ihr mich Dirne nennen würdet, damit ich mich daran gewöhne.«
Als der Butler langsam zurückwich, wurde Sara bewußt, daß sie sich wie eine Närrin benahm. Er mußte ja annehmen, daß sie den Verstand verloren hatte!
Der Earl of Cainewood war gerade rechtzeitig aus der Bibliothek gekommen, um zu hören, wie Sterns, der Butler, Sara nach ihrem vollen Namen gefragt hatte. Die verworrene Antwort weckte seine Aufmerksamkeit.
Sara gab dem Butler das naßgeweinte Taschentuch zurück und murmelte: »Ich hätte nicht herkommen sollen. Ich werde Eurer Herrin eine Nachricht zukommen lassen.
Lady Jade ist bestimmt zu beschäftigt, um mich zu empfangen.«
»Halt sie auf, Sterns«, rief der Earl.
»Wie Ihr wünscht«, erwiderte der Butler und legte die Hand auf Saras Schulter. »Und jetzt, Mylord?« erkundigte er sich.
»Dreh sie um.«
Sterns brauchte keine Gewalt anzuwenden – Sara wandte sich um und sagte: »Seid Ihr Lady Jades Gatte?«
»Darf ich Euch den Earl of Cainewood vorstellen, Mylady?« schaltete sich der Butler ein, und Sara vollführte gewohnheitsmäßig einen Knicks. »Mylord, das ist Lady Sara Dirne.«
Sara hätte beinahe der Schlag getroffen, und Sterns konnte sie gerade noch im letzten Augenblick festhalten, bevor sie zu Boden sank. »Das war doch nur ein Scherz, Mylady. Es ist mir einfach so herausgerutscht.«
Jades Mann kam lächelnd auf sie zu. Das half ihr ein wenig. »Ich bin Caine«, sagte er.
»Und ich bin Nathans Frau«, stammelte sie noch immer verlegen.
»Das habe ich mir schon gedacht, als ich bemerkte, wie verstört Ihr seid. Willkommen in unserer Familie, Sara.«
Er drückte ihre Hand. »Meine Frau ist schon begierig darauf, Euch kennenzulernen. Sterns, würdest du bitte Jade holen? Sara kommt in den Salon. Wir können uns ein wenig unterhalten, während wir auf meine Frau warten.«
»Aber Sir, ich bin nicht gekommen, um
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