Geliebte Feindin
Fassung wiederzugewinnen. »Warum wollt Ihr sie finden? Sie hat mir anvertraut, daß Ihr nicht sehr fürsorglich seid, Sir.«
»Mir hat sie in den letzten Wochen genau das Gegenteil versichert, Madam«, gab Nathan zurück.
Saras Mutter schüttelte langsam den Kopf. Sie sah ihrer Schwester Nora sehr ähnlich, aber wo bei Nora Lebensfreude vorherrschte, erkannte man bei Victoria Angst und Kummer.
»Ihr wollt Sara nur wiederfinden, um die Vergünstigungen des Königs nicht zu verlieren«, flüsterte sie matt. »Meine Sara ist entschlossen, Euch die Möglichkeit zu geben, diese Geschenke entgegenzunehmen, aber sie möchte nichts mehr mit Euch zu tun haben.« Tränen rannen über ihre Wangen. »Ihr habt mein unschuldiges Kind sehr verletzt, Sir. Sie hat Euch, seit sie ein Kind war, grenzenloses Vertrauen entgegengebracht. Ihr habt sie ebenso getäuscht wie ich sie getäuscht habe.«
»Sara spricht nur Gutes über Euch, Madam«, tröstete Nathan sie. »Sie würde nie annehmen, daß Ihr sie getäuscht habt.«
»Ich habe Sara oft ›meine kleine Friedensstifterin‹ genannt, wenn sie mich vor meinem Mann Winston oder vor Henry in Schutz genommen hat. Sie verdient es, selbst Friede und Freude zu finden. Sie wird nicht zurückkommen, Sir, wir alle haben sie grenzenlos enttäuscht.«
»Madam, wo kann ich sie finden?«
»Ihr macht Euch wirklich Sorgen um sie?«
Nathan nickte. »Natürlich, und sie braucht mich.«
Lady Victoria lächelte. »Vielleicht braucht Ihr sie ebenso nötig. Sie hat gesagt, daß sie nach Hause gehen möchte, da sie noch ein paar Kleinigkeiten zu erledigen hätte, bevor sie London verläßt.«
»Zur Hölle, Nathan«, warf Caine ein. »Was könnte sie ›Zuhause‹ nennen – du hast doch kein Haus mehr.«
Nathan drehte sich zu Saras Mutter um und sagte: »Habt Dank für Eure Hilfe. Ich werde Euch eine Nachricht zukommen lassen, wenn wir Sara gefunden haben.«
Die beiden Männer waren schon an der Tür, als Saras Mutter ihnen mit schwacher Stimme nachrief: »Sein Name ist Grant. Luther Grant.«
Beide drehten sich um, und Nathan fragte: »Wen meint Ihr?«
»Den Mann, der die Akten über Euren Vater gefunden hat, mein Mann hat ihn dafür bezahlt. Mehr habe ich leider nicht in Erfahrung gebracht. Hilft Euch das weiter?«
Nathan war sprachlos, aber Caine nickte. »Danke, Madam. Das erspart uns viel Zeit.«
»Bitte verachtet mich nicht«, flehte sie und schloß die Tür, bevor die beiden Männer noch etwas sagen konnten.
»Sie hat schreckliche Angst vor ihrem Mann«, stellte Caine fest, und Nathan nickte. Er war mit seinen Gedanken ganz woanders.
»Wo sollen wir sie suchen, Caine? Mein Gott, wenn ihr irgend ein Leid geschieht, dann weiß ich nicht, was ich tue. Ich bin es so gewöhnt, sie um mich zu haben …«
Caine erkannte, daß Nathan der Wahrheit schon ziemlich nahe kam und fragte sich, wann sein störrischer Schwager vor sich selbst zugeben würde, daß er Sara liebte.
»Wir werden sie finden«, sagte er. »Vielleicht sollten wir erst zum Hafen gehen – Colin könnte etwas erfahren haben, oder einer der Männer hat sie gesehen.«
Nathan schöpfte neue Hoffnung.
Als sie den Hafen erreichten, ging gerade die Sonne unter, und die Straßen waren in orangefarbenes Licht getaucht. Im Büro der Emerald Shipping Company brannten Kerzen. Als Nathan und Caine eintraten, sprang Colin so schnell auf die Füße, daß ein stechender Schmerz in seinem verletzten Bein tobte.
»Hat jemand Sara gesehen?« fragte Caine seinen Bruder.
Colin nickte. Schweißperlen standen auf seiner Stirn, und er atmete tief durch, um den Schmerz zu überwinden. »Sara war hier.«
»Und, zur Hölle, wo ist sie jetzt?« wollte Caine wissen.
»Sie hat gebeten, nach Hause gebracht zu werden. Jimbo und Matthew haben sie an Bord der Seahawk gebracht.«
Caine stöhnte. »Sie bezeichnet die Seahawk als ihr Zuhause?«
Nathan fiel ein Stein vom Herzen. Er war so erleichtert, Sara in Sicherheit zu wissen, daß ihm der kalte Schweiß ausbrach. »Es ist das einzige Heim, das wir beide hatten«, murmelte er.
14
Nathan mußte sich selbst vergewissern, ob es Sara gut ging, das war die einzige Möglichkeit, seinen hämmernden Herzschlag zu beruhigen. Ohne ein Abschiedswort machte er sich auf den Weg und ruderte zur Seahawk. Er war sehr überrascht, als er sah, daß ein großer Teil seiner Besatzung an Bord war – normalerweise verbrachten sie die erste Nacht an Land in einer Spelunke.
Ein paar Männer standen Wache auf den
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