Geliebte Feindin
Position. Nathan blieb stehen, als er erkannte, daß ihre Augen ihn ängstlich musterten, und seufzte.
Einen kurzen Augenblick hoffte sie, er könnte es sich noch einmal anders überlegen, aber dann umfaßte er ihre Schultern und drehte sie zu sich.
Er hob ihr Kinn an und zwang sie, ihn anzusehen, bevor er mit sanfter Stimme sagte: »Sara, ich weiß, daß das alles sehr schwer für dich ist, und wenn wir mehr Zeit hätten, könnten wir warten, bis du mich ein wenig besser kennengelernt hast. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, daß ich dir dann, wie du es dir wünschst, den Hof machen würde – für solche Dinge bin ich gänzlich ungeeignet, und mir fehlt auch die Geduld. Aber ich möchte auf keinen Fall, daß du dich vor mir fürchtest.« Er machte eine Pause und lächelte. »Trotzdem ändert das nichts an den Tatsachen – es ist egal, ob du Angst hast oder nicht.«
»Dann …«
»Wir haben keine Zeit«, unterbrach er sie. »Wenn du vor Monaten nicht vor mir geflohen wärst, könntest du jetzt schon meinen Sohn unter dem Herzen tragen.«
Ihre Augen wurden riesengroß vor Staunen, und Nathan vermutete, daß sie über seine Art, die Dinge beim Namen zu nennen, entsetzt war. Sie war ja noch so unschuldig und hatte keinerlei Erfahrungen in sexuellen Angelegenheiten. Und – großer Gott – genau das gefiel ihm.
»Ich bin nicht vor dir geflohen«, sprudelte sie hervor. »Worüber redest du überhaupt?«
Jetzt war es an ihm, Überraschung zu zeigen. »Du solltest mich, zum Teufel, nicht anlügen«, knurrte er und drückte ihre Schulter, um seine Worte zu unterstreichen. »So etwas werde ich nicht dulden. Ich verlange, daß Du ehrlich zu mir bist.«
Sie funkelte ihn wütend an. »Ich lüge nicht«, gab sie zurück, »ich habe nie vor dir die Flucht ergriffen, Wikinger, niemals.«
Sie sah ihn so offen an, daß er nicht an ihren Worten zweifeln konnte.
»Sara, ich habe deinen Eltern in einem Brief mitgeteilt, daß ich dich zu mir holen möchte, und den Brief an einem Donnerstag überstellen lassen. Ich habe genau angegeben, wann ich dich am folgenden Montag abholen wollte, aber du hast England am Sonntagmorgen verlassen, um zu deiner Tante zu fahren. Ich habe nur zwei und zwei zusammengezählt.«
»Ich habe nie etwas davon erfahren«, erwiderte sie. »Meine Eltern haben deinen Brief niemals erhalten. Kein Mensch hat auch nur ein Wort darüber gesagt, und in dieser Zeit ging alles ein wenig drunter und drüber. Meine Mutter war krank vor Sorge um Tante Nora, weil sie schon so lange nicht geschrieben hatte. Als sie mir vorschlug, zu Nora zu reisen, um herauszufinden, was geschehen ist, habe ich natürlich sofort eingewilligt.«
»Kannst du dich erinnern, wann genau deine Mutter dir anvertraut hat, daß sie sich um Nora sorgt?« fragte er spöttisch.
Sein Zynismus störte sie; sie wußte genau, was er dachte und runzelte die Stirn. »Ein paar Tage vor meiner Abreise. Aber sie hätte vermutlich nie mit mir darüber gesprochen, wenn ich sie nicht zufällig weinen gehört hätte, und sie hat sich sehr dagegen gesträubt, mir diese Bürde aufzulasten. Ich war diejenige, die darauf bestanden hat, zu der Insel zu segeln, auf der Tante Nora wohnt.« Ein Gedanke schoß ihr durch den Kopf. »Woher weißt du überhaupt, wohin ich gefahren bin? Wir haben allen erzählt, daß ich meine Schwester in den Kolonien besuche.«
Er brachte es nicht über sich, ihr zu gestehen, daß er ein paar Männer auf sie angesetzt hatte und daß sie mit einem seiner Schiffe gefahren war. »Warum habt ihr nicht erzählt, was du wirklich vorhattest?«
»Weil Nora von der Familie geächtet wird«, erklärte Sara. »Nachdem sie geheiratet hatte, verschwand sie aus England, weil ihr Mann der Familie nicht standesgemäß erschien. Ich habe geglaubt, über diese Sache wäre längst Gras gewachsen, aber ich habe mich getäuscht.«
Nathan brachte die Sprache noch einmal auf Noras Korrespondenz mit ihrer Schwester. »Du wußtest also nicht genau, ob Nora tatsächlich nicht geschrieben hat, und von meinem Brief hatte deine Mutter keine Ahnung?«
»Mutter würde mich nie hintergehen, und ich erlaube dir nicht, auch nur anzunehmen, daß sie in irgendwelche Intrigen verwickelt ist. Mein Vater oder meine Schwester könnten deine Nachricht abgefangen haben, um dich auf die Folter zu spannen, aber meine Mutter hätte niemals ihre Zustimmung zu einem solchen Komplott gegeben.«
Nathan fand es sehr ehrenhaft, daß sie ihre Mutter so verteidigte
Weitere Kostenlose Bücher