Geliebte Gefangene
bitte nicht.“
Enttäuschung und Ärger stiegen in ihm auf. „Zum Teufel, Sophie, wenn du jetzt wieder mit diesem verdammten Unsinn anfangen willst, dass du eine Gouvernante bist, die nicht …“
„Kein Unsinn“, flüsterte sie und legte ihm die Arme um den Nacken, damit sie ihn enger an sich ziehen konnte. „Ich wollte dich nur als Erste küssen.“
Ihr Mund fand den seinen, und Harry vergaß dagegen zu protestieren, dass sie ihn schon wieder ausgetrickst hatte. Er vergaß und erinnerte sich stattdessen an alles, was er an ihren Küssen so geliebt hatte: wie sie mit einem kleinen Seufzer die Lippen öffnete, wie warm ihr Mund sich anfühlen konnte, wie sie in seinen Armen dahinzuschmelzen schien, wie sie schmeckte und roch, sich anfühlte und wie auch sie ihn liebte – ja, liebte. Sie küssten sich, und es war, als wären seine Briefe niemals ungelesen zu ihm zurückgekommen. Sie küssten sich, und wieder schien alles im Leben möglich zu sein, solange sie nur da war, um das Leben mit ihm zu teilen.
Harrys Küsse wurden leidenschaftlicher. Seine Hände glitten zu ihrer Hüfte und zogen Sophie fester an sich. Sie sollte den Beweis fühlen, der ihr zeigte, wie sehr er sie begehrte, wie sehr er sie brauchte. Er ahnte, dass er vorhin, als sie ihn nach anderen Frauen in seinem Leben gefragt hatte, einen Fehler gemacht hatte. Und er wollte nicht noch einmal einen Fehler machen.
„Ach, Sophie, Sophie“, flüsterte er und fuhr mit den Fingern durch ihr Haar. Er hielt ihren Kopf fest und bedeckte ihr Gesicht von den Wangen bis zum Hals, der am empfindsamsten war, mit federleichten Küssen. „Mein Mädchen.“
Mit einem zitternden Seufzer entzog sie sich ihm und legte den Kopf in den Nacken, um sein Gesicht besser betrachten zu können. Ihre halb geöffneten Lippen schimmerten feucht, sie atmete schnell und ließ Harry nicht im Zweifel darüber, dass sie den Kuss ebenso genossen hatte wie er. Doch jetzt sah sie ihn im Mondlicht voll Unsicherheit an. Die langen Wimpern, die Schatten auf ihre Wangen zeichneten, unterstrichen noch ihre Verwirrung.
„Ich sagte dir doch, Sophie, mit uns ist es noch nicht aus“, flüsterte er und strich ihr mit der Hand über den Rücken, in der Hoffnung, die Liebkosung könnte sie trösten und beruhigen und sie gleichzeitig an den Genuss erinnern, den sie geteilt hatten, bevor sie sich zurückgezogen hatte. „Ich sagte dir, das Mondlicht würde …“
„Nein, nein, nein!“, schrie sie traurig auf und legte ihm die Finger auf den Mund, um ihn zum Schweigen zu bringen. „Das habe ich nicht gewollt, Harry, das nicht! Ich glaubte, ich könnte dich dieses eine Mal, dieses eine letzte Mal küssen. Es sollte der Abschiedskuss sein, den wir uns nie haben geben können. Ich glaubte, ich wäre stark genug, doch stattdessen …“
Aber der Knall eines Schusses ganz in ihrer Nähe unterbrach sie. Die Steinmauern warfen das Echo zurück. Stechender Geruch nach Pulverdampf erfüllte die Luft. Instinktiv riss Harry Sophie zu Boden, stieß sie unter den Brückenbogen und schirmte sie zusätzlich noch mit seinem Körper ab. Er konnte jetzt oben auf der Straße Pferde vernehmen, das Klirren von Geschirren und das Knirschen eisenbeschlagener Kutschräder, zusammen mit rauen, wütenden Männerstimmen.
Oh Gott, warum war er nur so unvorsichtig gewesen? Wieso hatte er völlig vergessen, wachsam zu sein?
„Wer ist es, Harry?“, fragte Sophie neben ihm. Sie klang ein wenig atemlos, doch jetzt eher vor Aufregung als vor Begierde. „Wer würde denn auf uns feuern? “
„Diebe, Vagabunden, Deserteure“, meinte er und zog eine der Pistolen aus dem Gürtel, um sie zu überprüfen. „Da gibt es tausend Möglichkeiten. Herrje noch mal, Sophie, du sollst im Schatten bleiben, wo sie dich nicht sehen können!“
„Dann gib mir die andere Pistole“, erwiderte sie und streckte die Hand aus. „Wie du dich vielleicht erinnerst, schieße ich genauso gut wie du.“
„Es interessiert mich nicht, ob du das tust oder nicht“, flüsterte er scharf, als auch schon ein weiterer Schuss ertönte. Die Kugel prallte von den Steinen ab. Mit zwei Pistolen würde er zwei Schüsse haben, während die anderen auf der Straße – nun, so, wie es sich anhörte, würden sie eine Menge Schüsse mehr haben. Er wollte sich den Ausgang dieser Geschichte lieber nicht ausmalen. „Zu den Pistolen greifen wir erst zuletzt. Wir haben eine größere Chance, wenn wir uns hier unten verstecken.“
Sophie schnaubte abfällig
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