Geliebte Gefangene
gehört.“ Er zog sie zur Treppe zurück und hielt die Laterne hoch. „Miss Potts, das ist Korporal Nolly. Nolly, das ist Miss Potts.“
Im Mondlicht, das ungehindert durch die Fenster flutete, da die Läden oben nicht geschlossen waren, konnte Sophie jetzt erkennen, was für eine närrische Figur sie so erschreckt hatte. Es war eine schlecht zusammengeflickte Rüstung, die oben an der Treppe als Wache aufgestellt war.
„Großvater schwor immer, der Helm habe einmal einem von Cromwells Männern gehört, der genau hier auf diesem Grund und Boden getötet worden sei“, fuhr Harry fort und senkte wie ein Geschichtenerzähler am Lagerfeuer die Stimme zu einem geheimnisvollen Flüstern. „Der Kopf wurde ihm samt Helm glatt von den Schultern geschlagen. Jetzt muss der Geist des armen Nolly in Hartshall herumspuken und seinen verlorenen Kopf suchen.“
„Oh, verflixt und zugenäht.“ Sophie ärgerte sich über ihre Angst. Sie machte sich von Harry los und ging zu der Rüstung, hob den Helm ab, der als Kopf diente, und schaute hinein. „Die ist kaum alt genug, um einem von Cromwells Soldaten gehört zu haben. Siehst du, wie dieses Teil hier befestigt ist? Ganz gleich, was dein Großvater auch geschworen haben mag, das ist eine ganz gewöhnliche Fälschung.“
Harry seufzte theatralisch – was immer noch besser war, als wenn er laut gelacht hätte – und ging ins erste Schlafzimmer. Er benutzte die Flamme der Laterne, um den Holzstoß zu entzünden, der im Kamin bereits aufgeschichtet auf sie wartete.
„Armer Nolly“, meinte er traurig, während er sich, immer noch auf den Knien, den Rock auszog. „Als einfache, schlichte Fälschung entlarvt zu werden!“
„Was hast du anderes von mir erwartet, Harry?“, verteidigte sich Sophie. Sie war ihm mit dem Helm unter dem Arm gefolgt. Ein riesiges altmodisches Bett mit zwiebelartigen geschnitzten Bettpfosten und Samtvorhängen füllte fast den ganzen Raum aus. Aber wenigstens blieb der Rest von Nolly draußen vor der Treppe. „Eine gute Gouvernante kann wahre Geschichten von falschen unterscheiden, und was Geister betrifft …“
„Ich weiß, Sophie. Ich weiß das alles“, sagte er resigniert. Er verharrte mit dem Rücken zu ihr. Sein weißes Leinenhemd spannte sich straff über die breiten Schultern, während er das Holz zum Brennen brachte. „Du glaubst an kein Schicksal, und du glaubst an keine Geister, und du …“
„Ich glaube an dich“, sagte sie leise, so leise, dass sie sich zuerst nicht sicher war, ob er sie überhaupt gehört hatte, während er Feuer machte. „Ich glaube an dich, Harry. Das habe ich immer getan.“
„Das ist gut“, erwiderte er, immer noch auf das Feuer konzentriert. Zumindest tat er so. „Besonders, da du nicht viele finden wirst, die das tun.“
„Die brauchst du auch nicht“, sagte sie und umarmte den Helm an seiner Stelle. „Genauso wenig wie ihre Meinung.“
Er stand auf und klopfte sich den Ruß von den Händen. Endlich drehte er sich zu ihr um. Sein Gesicht drückte Wachsamkeit aus, aller Spott war daraus verschwunden. Selbst im Mondlicht konnte Sophie erkennen, wie genau er sie beobachtete. So genau, dass sie errötete. Schon konnte sie die Wärme spüren, die vom Feuer ausging, vielleicht war es aber auch die Wärme, die Harry ausstrahlte.
„Willst du damit sagen, dass du alles bist, was ich brauche?“, fragte er. „Bist du bereit, eine so große Verantwortung für mich zu übernehmen, Sophie?“
„Vielleicht.“ Sie schluckte rasch ihre Aufregung hinunter. Solch eine Frage zu beantworten gab ihr das Gefühl großer Verletzlichkeit. Doch sie hatte sich immer an die Wahrheit gehalten, nicht wahr? Wieso sollte sie jetzt ausgerechnet bei Harry mit der richtigen Antwort zögern? „Nein, ja. Das heißt ja, Harry. Ich würde sie übernehmen. Ja.“
„Du sagst die Wahrheit“, meinte er erstaunt, aber nicht zweifelnd. „Du würdest nie lügen, nicht wahr, Sophie?“
„Nie.“ Wieder musste sie schlucken. Es war, als ob der unerklärliche Kloß in ihrem Hals etwas Greifbares, Wirkliches wäre und nicht ein einziges, einfaches Wort – Liebe –, das sie nicht auszusprechen wagte. Er sah so gut aus, war ihr so vertraut, dass es ihr Tränen in die Augen trieb. Doch sie würde ihn und diese Nacht für immer in ihrem Herzen bewahren. „Wenn du wusstest, dass ich nicht an Schicksal oder Geister glaube, dann musstest du auch wissen, dass ich an die Wahrheit glaube. Das ist kein großes Geheimnis.“
Er nickte
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