Geliebte Gefangene
ihre Verachtung, die sie vor sich selbst und auch vor ihm empfand, brach hervor. „Ich dachte, Ihr wärt ein Mann von Ehre. Es scheint, ich habe mich geirrt.“
Ungerührt lehnte Simon mit vor der Brust verschränkten Armen und einer Lässigkeit, die sie nur noch mehr aufbrachte, an der Tür. Seine ausdruckslose Miene verriet nicht, ob ihre Worte ihn verletzt hatten. „Vielleicht hat Ehre keinen Platz im Krieg“, sagte er. „Ihr habt mir mit Eurem Kommen in die Hände gespielt, Madam. Es wäre dumm von mir, diesen Vorteil nicht zu nutzen.“
Anne gab einen verächtlichen Laut von sich. „Ich hatte geglaubt, Ihr wärt anders.“ Wütend ballte sie die Hände zu Fäusten. „Sir Henry hat mir geschworen, dass es so sei. Offenbar war es ein Fehler, ihm zu vertrauen.“
Simon richtete sich auf und musterte sie von der anderen Seite des Raumes aus. Seine Ausstrahlung hatte etwas Einschüchterndes, aber Anne war entschlossen, keine Angst zu zeigen.
„Ihr dachtet, ich wäre anders? Anders als wer?“, fragte er ruhig. „Malvoisier?“
„Vielleicht. Anders als die meisten Männer …“ Anne biss sich auf die Lippen und hielt die verräterischen Worte gerade noch zurück. Sie hatte nicht vor, ihren ganzen Hass gegen Malvoisier hier und jetzt vor diesem Mann auszubreiten, der sich als ihr Feind erwiesen hatte. Sie hatte Gerard Malvoisier mit seiner tyrannischen Grausamkeit und seiner Gewohnheit, jeden zu vernichten, der sich ihm in den Weg stellte, vom ersten Moment, als er nach Grafton gekommen war, verachtet. Ihre politische Allianz hing nur noch an einem seidenen Faden. Sie hatte seinen Heiratsantrag abgelehnt und war mehr als erzürnt, dass er das Gerücht ihrer Verlobung in die Welt gesetzt hatte. Sie sah Simon an, dessen dunkle Augen ihren Blick ungerührt erwiderten. Er war nicht wie Malvoisier – er tobte nicht oder schrie oder drohte –, aber er war doppelt so gefährlich. „Ich habe mich in Euch getäuscht“, sagte sie schroff. „Ihr seid genau wie alle anderen.“
„Ich kann es mir nicht leisten, so einen Vorteil nicht zu nutzen“, entgegnete er immer noch ruhig, auch wenn in seinen Augen Ärger aufflackerte. „Ich bin mir sicher, Ihr versteht das. Auf diese Weise kann ich Euch gegen Henry austauschen, und niemand kommt zu Schaden.“
Anne fühlte, wie sich neue Hoffnung in ihr breitmachte. „Soll das heißen, dass Ihr, wenn die Geiseln ausgetauscht sind, Eure Attacke auf das Gut abblasen werdet?“
„Nein!“ Simon schüttelte den Kopf. „Ich werde Eure Freiheit gegen die meines Bruders tauschen, aber Grafton muss trotzdem an die Parlamentarier fallen.“
Ungläubig sah Anne ihn an. „Also wollt Ihr mit mir nur das Leben Eures Bruders erkaufen und dann mein Heim und meine Leute trotzdem angreifen?“ Sie hob die Hände in einer Geste der Verzweiflung an die Wangen. „Eure Kaltherzigkeit ekelt mich an, Lord Greville! Einst verspracht Ihr meinem Vater, dieses Land unter Euren Schutz zu stellen!“
Dieses Mal konnte Simon seinen Ärger nicht mehr zurückhalten. „Es tut mir leid, dass Ihr die Sache so betrachtet, Madam. Wir sind im Krieg …“
Verachtung schwang in Annes Stimme. „Diese Phrase kommt Euch schnell über die Lippen, um Eure Taten zu entschuldigen!“ Ihre Hände schlossen sich um die Rückenlehne des Stuhls, über der auch Simons Schwertgurt hing. Sie konnte das glatte Leder unter ihren Fingern spüren. „Hoffen wir also, dass Malvoisier es als Vorteil sieht, diesen Handel abzuschließen“, sagte sie. „Ich bin mir allerdings nicht sicher, dass er zustimmen wird.“
„Natürlich wird er das“, erwiderte Simon.„Ihr seid das Patenkind des Königs.“
„Ah, natürlich.“ Anne konnte die Bitterkeit nicht ganz aus ihrer Stimme verbannen. „Immerhin ein Grund für ihn, mich zu retten.“
Dann herrschte Stille, nur unterbrochen vom Zischen des Feuers. Es war warm im Raum geworden, der erfüllt schien von den widersprüchlichen Gefühlen zwischen ihnen. Plötzlich riss Anne die Arme hoch und umfasste mit ihrer Geste den ganzen Tisch und die Pergamente, die darauf verteilt waren. Krampfhaft versuchte sie, ihren Ärger unter Kontrolle zu halten, obwohl sie ihre Verzweiflung und ihren Schmerz am liebsten laut herausgebrüllt hätte. „Dann sendet ihm Nachricht! Was zögert Ihr noch? Teilt ihm mit, dass Ihr mich als Geisel genommen habt. Mein Vater liegt im Sterben, und ich wäre lieber an seiner Seite, als hier von Euch gefangen gehalten zu werden.“
Simon leerte
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