Geliebte Korsarin
Lächeln auf den Lippen gegangen. Es war ein Lächeln, das Rainherr zu verstehen gab: Es gibt kein Morgen für uns …
Rainherr wartete, bis Juan und Joanna in der Dunkelheit verschwunden waren, zog dann seine Jacke an und griff nach dem Seesack, den er in der letzten Stunde gepackt und schon neben sich stehen hatte.
Fünf Minuten später stieg auch er beladen die Treppe zur Bucht hinunter und wartete im Schatten, bis Juan und Joanna an Bord der ALTUN HA gegangen waren.
Dann schulterte er wieder seinen Seesack und stampfte durch den Ufersand zur Mole. Er kam gerade noch zur rechten Zeit …
Juan erschien an Deck und wollte gerade das Fallreep einziehen.
Als er seinen Chef mit dem Seesack erkannte, blieb er stocksteif stehen.
»Das könnte euch so passen«, sagte Rainherr zischend. »Einfach abhauen und den Alten allein zurücklassen! Über diesen Streich unterhalten wir uns noch, Juan Noales!«
»Die Mylady hat mich so angefleht, Sir … Ich konnte nicht anders«, flüsterte Juan zurück.
»Spiel nicht den vornehmen Butler, du Rindvieh!« Rainherr betrat das Schiff und nickte Juan zu. »So, jetzt kannst du ablegen! Wo wolltet ihr denn überhaupt hin?«
»Ich weiß es nicht, Chef. Nur weg von hier, hat Miss Tabora gesagt.«
»Also gut! Dann tu's! Nur weg von hier! Ich bin gespannt, was sie vorhat. Ich bleibe bei dir auf dem Steuerstand.«
Juan holte das Fallreep ein, und Rainherr half ihm sogar, die Leinen loszubinden. Dann stießen sie von der Mole ab, dümpelten mit der schwachen Strömung seitlich weg und warfen den Motor an. In sehr langsamer Fahrt verließen sie die Bucht.
Andreas Rainherr stand an der Bugreling und blickte zu seinem Haus hinauf. Dort war alles dunkel. Annette schlief.
»Was macht sie?« fragte er, als er zu Juan auf die kleine Kommandobrücke kam.
»Miss Tabora?«
»Wer denn sonst, du Affe?«
»Sie sitzt unten im Salon und weint.«
»Woher weißt du das?«
»Sie hat, als der Motor ansprang, zur Brücke telefoniert. ›Nicht so laut‹, hat sie gesagt: und dann war da nur noch Schluchzen …«
Vorsichtig glitt die ALTUN HA aus der Bucht, vorbei an dem Korallenriff, hinaus aufs offene Meer. Ein bleicher Mond versilberte die See. Es war wie ein Postkartenfoto.
Eine dunkle Felseninsel, ein unendlicher Sternenhimmel, ein Theatermond, der das Meer erhellt, ein weißes Schiff auf einer silbernen See … Wer so etwas malt, würde ausgelacht!
Außerhalb der Hörweite der Bucht ließ Juan den zweiten Motor aufbrummen. Sofort gab die Sprechanlage Signal. Rainherr schüttelte auf Juans fragenden Blick den Kopf.
»Miss Tabora?« fragte Juan dienstlich. »Hier Brücke, Steuermann Juan.«
»Warum beide Motoren? Sind wir schon weit genug weg?«
»Wenn Sie aus dem Fenster blicken würden, Miss, so könnten Sie es sehen.«
»Ich kann nicht zurückblicken, Juan.« Ihre Stimme schwankte. »Wenn Sie wollen, können Sie jetzt mit dem Beiboot von Bord gehen und zurückfahren. Ich übernehme das Schiff allein …«
»Das ist unmöglich, Miss Tabora. Ganz allein können Sie dieses Schiff nicht führen.«
»Ich habe mein Kapitänspatent!«
»Trotzdem bleibe ich bei Ihnen! Das Schiff ist zu groß für einen allein …«
»Mr. Rainherr wird Ihnen das nie verzeihen, Juan.«
»Ihnen auch nicht, Miss Tabora.« Juan räusperte sich. »Welchen Kurs soll ich halten?«
»Zunächst hart Osten. Wir können den genauen Kurs später ausrechnen.«
»Unser Ziel, Käpten?«
»Saba …«
»Okay. Saba! Verstanden.«
Juan schaltete die Sprechanlage aus. Rainherr lehnte am Sonargerät. Es war ausgeschaltet, denn sie waren in tieferes Wasser gekommen, wo man keine Ortung mehr brauchte.
»Sie haben es gehört, Chef?« fragte Juan. »Wir fahren nach Saba.«
»Da wollte ich schon immer hin.«
Dr. Rainherr griff in den Kartenschrank und suchte die nötigen Seekarten zusammen. Auf dem Kartentisch breitete er sie aus. Die Neonröhre über dem Tisch tauchte die Kartenblätter in helles Licht.
Saba.
Eine kleine Felseninsel in der Gruppe der Niederländischen Antillen.
Ein Felseneiland, gegen das Cayman Brac geradezu eine Rieseninsel war. Auf der Karte war es deutlich zu sehen: Ein Stück Erde, das nur aus einem Kraterrand und einem Krater zu bestehen schien, aus dem der erloschene Vulkan wie ein Kegel 610 Meter hoch emporragt. Der an den Kraterrand geklebte Hauptort heißt Bottom; auf einem Plateau der Vulkaninsel hatte man ein winziges Flugfeld angelegt, wo nur kleine Propellermaschinen landen
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