Geliebte Korsarin
übereinander, entkorkte die Flasche und trank den Cognac gleich daraus. Mit einem betont lauten Rülpser, den ein fassungsloser Blick Joannas begleitete, setzte er mit einem Knall die Flasche auf den Tisch zurück.
»Gut so, Mary-Anne? Ist das das echte Piratenbenehmen? Ich weiß es nicht, ich kenne die Manieren deiner Sippe nur aus Abenteuerromanen, du mußt das besser wissen! ›Das Gespenst der Karibik‹! Bitte, ich bin immer bereit zu lernen. Ein Mensch, der aufhört sich zu bilden und zu lernen, geht langsam ein. Aber ich will noch lange leben. Gibst du mir Unterricht in Piratengebräuchen? Was muß ich jetzt tun? Nach dem Trinken rülpsen … habe ich schon getan! Muß ich jetzt durch das Zimmer spucken, vielleicht ein paar deftige Flüche …?«
Sie starrte ihn fassungslos an und lehnte sich gegen den Wandschrank, als sei er ihr einziger Halt. »Wie redest du denn?« fragte sie leise. »Was ist denn mir dir los, Andres?«
»Nichts! Ich befinde mich auf einer berühmten Piratenyacht mit einer Kanone und zwei schweren MGs an Bord auf der Fahrt nach der Insel Saba. Ich nehme an, daß ich dort nicht die Königin von Saba finde, sondern … Holla!«
Rainherr beugte sich vor. Joannas Augen weiteten sich. Sie erwartete, daß er jetzt aufspringen und auf sie zustürzen würde. Was sollte sie nur tun …
»Das ist ja eine tolle Parallele! Eine moderne biblische Geschichte! Damals, hieß es, sei die Königin von Saba die heimliche Geliebte des Königs Salomon gewesen. Viele seiner weisen Sprüche verdanken wir angeblich dieser großen Liebe.« Rainherr schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Daß ich nicht gleich darauf gekommen bin! Eine schicksalhafte Wiederholung: Mary-Anne, die Königin von Saba, fährt mit ihrem Salomon in ihr Reich!«
Andreas lehnte sich zufrieden zurück. Daß Joanna vor explosiver Wut zu zittern begann, beobachtete er mit Genuß.
»Du solltest dazu übergehen, mich ab sofort Salomon zu nennen. Oder moderner – vielleicht Salli oder Lomo, das hat einen etwas morbiden Beigeschmack …«
»Ich könnte dich zerreißen!« sagte Joanna dumpf. »Du bist und bleibst ein Ungeheuer!« Sie wollte sich von dem Wandschrank abstoßen, aber Rainherr war rasch bei ihr und hielt sie mit eisernem Griff fest.
»Wohin?« fragte er.
»Zum Brückentelefon. Juan soll sofort umkehren und dich nach Cayman Brac zurückbringen.«
»Nein!«
»Hier befehle ich!«
»Aye, aye, Käpten Mary-Anne.« Rainherr lockerte den Griff. »Was soll das dumme Hin und Her? Ich habe ja schon festgestellt: Wir sind wieder Piraten! Was soll ich also tun, geliebte Korsarin? Wo hast du die schwarze Augenbinde?«
»Was ist denn das nun wieder?«
»Auf allen Illustrationen in Piratenbüchern tragen die Bösewichte über einem Auge eine Klappe. Die einäugigen Teufel der Meere! Ich möchte ganz stilecht sein, Mary-Anne. Haben wir nicht eine Augenbinde in der Bordapotheke? Ich erinnere mich doch …«
»Juan!« schrie Joanna mit heller Stimme, warf sich mit einem Ruck herum und riß den Sprechschlauch zur Brücke an sich. »Volle Kraft zurück nach Cayman Brac! Verstanden?«
»Verstanden!« antwortete Juan ohne Erstaunen in der Stimme.
Rainherr entwand ihr das Sprechgerät. »Juan!« brüllte er hinein. »Kurs beibehalten! Schnelle Fahrt nach Saba! Verstanden?«
»Verstanden, Sir …«
»Das ist mein Schiff!« rief Joanna.
»Hast du's gehört, Juan? Wessen Schiff ist das?«
»Unser Schiff, Sir.«
Rainherr hängte den Sprechschlauch an den Haken zurück und schüttelte den Kopf. »Warum ist es unmöglich, daß wir zwei uns vernünftig unterhalten, Joanna?«
»Du gehörst zu deiner Tochter!« sagte sie und schlug die geballten Fäuste gegeneinander. »Das habe ich eingesehen, und da gibt es kein Zurück mehr.«
»Es hat niemand von uns an ein Zurück zu denken, sondern nur an ein Vorwärts! Hast du das ganz vergessen, Joanna?«
»Man muß Illusionen vergessen können.«
»Illusionen? Bin ich ein Fabelwesen?«
»Für mich – ja! Als ich heute nacht aus deinem Haus wegschlich, ist Joanna Tabora zum zweitenmal gestorben. Und zwar endgültig! Mit einer Mary-Anne Tolkins kannst du nichts anfangen. Zwischen ihr und dir liegen Welten!«
»Welten? Ein kleiner Sprung! Wir können heute Menschen auf den Mond schießen und Fotosonden auf den Mars und die Venus! Und da sollten zwei Menschen, die sich lieben, keine Brücke finden? Das wäre doch absurd!«
»Wenn man erfährt, wer ich war …«
»Immer die alte, dumme
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