Geliebte Kurtisane
eine Erklärung dafür zu finden, warum eine Frau mit einem Mann unter vier Augen zu sprechen wünscht.“
„Schon, aber alle Welt weiß, dass Sir Mark gegen weibliche Verführungskünste immun ist“, sinnierte er. „Ich habe ihn über Monate beobachtet, da tut sich nichts. Passen Sie auf – möchten Sie nicht vielleicht doch für mich arbeiten?“
Sie schwieg.
„Es würde sich für Sie lohnen“, lockte er. „Was liest er? Arbeitet er an seinem nächsten Buch?“ Parret lächelte sie an, was ihn indes eher frettchenhaft als freundlich aussehen ließ. „Ich lasse auch noch extra eine Belohnung für Sie springen.“
„Sie sind nicht ganz bei Sinnen“, beschied sie.
Er widersprach nicht. „Hier, meine Karte.“ Er reichte sie ihr. Als sie keine Anstalten machte, sie zu nehmen, legte er sie achselzuckend auf die Türschwelle. Leise pfeifend ging er davon. Jessica schloss die Tür und sah ihm durch das kleine Seitenfenster hinterher, hörte ihr Herz im Takt seiner Schritte pochen.
Ihre Hände waren feucht und klamm. Sie wartete, bis er durch die Hecke geschlüpft und verschwunden war.
Was sollte sie davon halten?
Was sollte sie tun?
Beinah hätte sie gelacht. Für eine Reporterin hatte er sie gehalten! Eine Reporterin, die Sir Mark gefolgt war, um ihm irgendeine Geschichte aus den Rippen zu kitzeln. Nein, knapp daneben. Ihr Metier war von anderer Unaufrichtigkeit.
Doch dem seinen gar nicht so unähnlich, dachte sie bei sich. Sie war hier, um ihn zu verführen, ihn zu ruinieren – und wenn sie Erfolg haben wollte, wenn sie wollte, dass man davon erfuhr und ihr glaubte, würde sie letztlich auch die Hilfe dieses verrückten kleinen Mannes brauchen. Wenn er ihrer Geschichte nicht glaubte, würde niemand ihr glauben. Eigentlich hatte sie mehr mit Mr Parret gemein als mit Sir Mark. Sie täte gut daran, das niemals zu vergessen.
Eine ernüchternde Erkenntnis, die sie die Tür noch einmal öffnen und seine Karte aufheben ließ. Ganz leicht war sie, auf billigem Karton gedruckt – warum wog sie aber so schwer in ihrer Hand?
Weil, so meldete sich ihr Gewissen, sie weiterhin vorhatte, Sir Mark zu verführen. Selbst jetzt, da sie wusste, dass er nicht wollte. Ihre Selbstachtung war im Laufe der Jahre etwas ramponiert worden, aber nie zuvor war sie so tief gesunken, wollte sie doch einen anständigen Mann zu Fall zu bringen.
Und Sir Mark … er mochte sie. Er mochte sie selbst dann, wenn sie sich vergaß, wenn sie nicht einmal versuchte, ihre Worte zu zügeln.
In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt, sagte Jessica sich – und entsann sich sogleich wieder seines Lächelns.
„Also gut, ich gebe dir ein Versprechen“, sagte sie, als spräche sie zu ihm, aber vielleicht sprach sie auch zu sich selbst. „Ich werde dich verführen. Ich muss es tun. Aber keine List und Tücke, keine faulen Tricks. Ich werde dich verführen, Sir Mark, so wie ich bin.“
Mark hatte törichterweise geglaubt, dass er nach dem Gottesdienst am folgenden Sonntag rasch der Menge entkommen könnte. Er hatte sich getäuscht. Ihm war, als wate er durch ein Meer aus Menschen, an Flucht war nicht zu denken. Mit Mühe schaffte er es aus der Kirche, doch draußen im Hof war es nicht besser. Er war umzingelt, und von ein paar alten, schiefen Grabsteinen abgesehen, bot sich nirgends ein Versteck, hinter dem er Zuflucht hätte finden können.
„Sir Mark, wir hatten gehofft, Sie diese Woche bei uns zum Dinner zu empfangen“, sagte die stämmige Frau vor ihm, eine gewisse Mrs Cadfall.
Zu seiner Linken meldete sich ein Mann zu Wort. „Sir Mark, wir wären Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie uns einen Rat geben könnten, wie wir unser Vieh …“
Eine Hand senkte sich auf seine Schulter, eine andere packte ihn beim Ellbogen. Es war genau wie in London: der Lärm, die Menschen, die Aufmerksamkeit . Jetzt fehlten nur noch ein paar Reporter und zum Frühstück eine Zeitung, die detailliert berichtete, was er am Abend zuvor gemacht hatte. Mark drohte unterzugehen in einem Gewirr aus Stimmen, die alle um seine Aufmerksamkeit heischten, alle irgendetwas von ihm wollten.
„Sir Mark“, erklang eine helle Stimme hinter ihm.
„Sir Mark, die BMK möchte …“ Oje, das war James Tolliver. Doch was die BMK wollte, ging glücklicherweise gleich wieder im Lärm unter.
„Sir Mark!“
„Sir Mark?“
„Sir Mark, ich …“
„Ruhe!“, brüllte Mark. „Bitte. Könnten vielleicht alle mal ruhig sein. Wie wäre es, wenn jeder der Reihe nach mit
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