Geliebte Kurtisane
Farleigh.
„Angenommen, ich hätte nur diese beiden Möglichkeiten … Nun, es ist vollkommen einfach. Meine Wertvorstellungen sind nicht so rigide, als dass ich Unschuldige dafür leiden ließe.“
„Aber …“
„Ich würde auch lügen, einen anderen Mann bewusstlos schlagen und mir in Anwesenheit der Königin die Nase putzen. Alles für die kleinen Kätzchen.“
„Da können sie sich aber glücklich schätzen, die Kätzchen“, bemerkte Mrs Farleigh trocken und konnte sich kaum ein Lächeln verkneifen. Mark hätte sie gern lachen sehen.
Die Menge begann unruhig zu werden.
„Was ich damit sagen will“, schloss Mark. „Es kann Situationen geben, wo Keuschheit die falsche Entscheidung wäre. Sehen Sie, jetzt haben Sie mich erwischt. Meistens gibt es jedoch weder Kätzchen noch Verrückte, nur uns und unser Gewissen. Es ist unsere Entscheidung, und eigentlich ist es eine ganz einfache. Es braucht keine besonderen Umstände, um moralisch zu handeln. Andernfalls wären einem Zerfall der Sitten, wären Mord und Totschlag Tür und Tor geöffnet.“
Sprachloses Schweigen ringsum. Er hatte gewonnen. Mrs Farleigh lächelte. „Sie haben mich überzeugt“, sagte sie. „Man kann nicht darüber debattieren.“
Ah, sie machte sich über ihn lustig. Es war schon eine Weile her, dass jemand ihn infrage gestellt hatte. Und es war sehr lange her, dass er sich dabei so gut amüsiert hätte.
„Doch um im Bild zu bleiben“, setzte sie nach, „hielte ich es zur Rettung der Kätzchen für weitaus effektiver, dem Verrückten einfach eins über den Schädel zu ziehen.“
„Mag sein. Sollte ich jemals vor der Wahl stehen“, meinte er leichthin, „werde ich an Sie denken.“
Entsetzt riss sie die Augen auf. Und nicht nur sie.
Hatte er das gerade wirklich gesagt? Ja, er hatte. Hier, vor dem ganzen Dorf. Er spürte, wie seine Wangen zu glühen begannen.
Mrs Farleigh fing sich als Erste. „Lieber nicht“, sagte sie. „Drohender Kätzchentod ruiniert einem die Stimmung. Sie haben mich auch so überzeugt, Sir Mark. Ihre Moralvorstellungen scheinen nicht nur schwach ausgebildet, sondern geradezu erschlafft zu sein.“
War es vorher still gewesen, so war es jetzt totenstill. Es lag ihm schon auf der Zunge, ihr zu erwidern, dass er durchaus rigide sein konnte, wenn die Umstände danach verlangten. Natürlich sagte er es nicht.
Und ein Glück, dass dieser kleine Fehltritt sich in Shepton Mallet ereignet hatte und nicht in London. Auch in Shepton Mallet würde man reden, doch am Ende wüsste keiner mehr, was eigentlich gesagt worden war. Von hier bis Croscombe würde man es sich hinter vorgehaltener Hand zuraunen, aber wenigstens fände es sich nicht gleich morgen schwarz auf weiß in der Zeitung.
Da erhob sich, als wäre sie seiner Fantasie entsprungen, ein dünnes, eher schwächliches Stimmchen. „Einen Augenblick, Sir Mark. Könnten Sie das noch einmal wiederholen?“
Nein. Nein. Das konnte nicht sein.
Der Sprecher ging schier in der Menge unter. Aber Mark hatte die Stimme sofort erkannt, und jetzt entdeckte er auch die reichlich zerfranste Hutkrempe, halb verborgen hinter breiteren Schultern.
Nigel Parret. Was hatte den nach Shepton Mallet verschlagen?
Dumme Frage. Was wohl. Parret drängte sich durch die Menge vor zu Mark. In der einen Hand hielt er ein dünnes Notizbuch, in der anderen einen Bleistift. Den Stift gezückt, sah er Mark an, der indessen in die Betrachtung dieses unglaublichen Schnurrbarts versunken war. Nigel Parret war nicht einfach nur Reporter – er war eine waschechte Klatschbase.
„Mein lieber Sir Mark“, rief Parret und warf dabei Mrs Farleigh einen vielsagenden Blick zu, aus dem Mark nicht so recht schlau werden wollte. „Wie lange ist es doch her, seit wir uns zuletzt gesprochen haben!“
Es war Wochen her, herrliche, wundervolle Wochen, seit Mark seiner ansichtig geworden war.
„Vielleicht mögen Sie mir Ihre Gefühle beschreiben, mich nach so langer Zeit wiederzusehen?“
„Gern“, sagte Mark. „In zwei Worten.“
Der Reporter setzte seinen Stift aufs Papier. Wenn es nach Parret ginge, würden Tausende Menschen lesen, was er jetzt sagte.
„Verschwinden Sie“, sagte Mark.
„Aber Sir Mark“, tadelte Parret ihn milde. „Das ist nicht sehr nett. Und dabei sind wir so gute Freunde.“
Mark bedachte ihn mit vernichtendem Blick.
„Also, noch einmal“, seufzte Parret. „Was haben wir eben gesagt?“
Er ließ seinen Blick über die Allgemeinheit schweifen und
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