Geliebte Kurtisane
rauer Stimme. „Keineswegs. Ich kann nur nicht immerzu daran denken.“ Er beugte sich über sie, und sie konnte nicht anders, als ihm entgegenkommen, bis ihre Brust die seine berührte und ihre Hände von seinen Schultern glitten, um ihn bei den Handgelenken zu fassen. Jeder Atemzug erschien ihr wie Feuer.
„Du kannst nur daran denken“, hauchte sie.
„Ich kann nur daran denken“, flüsterte er, „dass du mir gewiss treu wärest. Du würdest mir treu sein wollen .“
Er fuhr mit der Hand in den Ausschnitt ihre Kleides und streifte es ihr von der Schulter. Ein wundersames Sehnen erfasste sie, laut keuchte sie auf. Es war nur eine unschuldige Berührung, nichts weiter, seine Finger auf ihrem Schlüsselbein, seine Haut auf der ihren. Doch waren es eben seine Fingerspitzen, die über ihre Schulter strichen, es war seine Liebkosung, die Funkenregen ihren Arm hinabschickte. Und sein eindringlicher Blick – dieses Ernste, Absichtsvolle – verwandelte jede Berührung in etwas ganz und gar nicht Unschuldiges.
„Bei jedem anderen Mann“, sagte sie, „würde ich jetzt glauben, er habe eindeutige Absichten.“
„Wäre ich jeder andere Mann“, erwiderte er, „würdest du es nicht zulassen. Aber ich bin ich. Und meine Absichten sind eindeutig anders. Ich gebe dir ein Versprechen, ich stelle keine Forderungen.“
Männer pflegten unter den gegebenen Umständen immer Versprechen zu machen, und Jessica hatte längst gelernt, nichts darauf zu geben. Aber Mark fasste sein Versprechen nicht in Worte. Still streiften seine Lippen die ihren – zärtlich, nicht verlangend. Er entsprach nicht ihrer Vorstellung von Männern, in ihrer Welt gab es keine Männer wie ihn.
„Du sagtest einmal, ich habe von dir nichts zu befürchten.“ Jessica strich über seinen Hemdärmel, schmiegte sich an ihn. Wie muskulös er war, stark und unverwüstlich. „Das Verwerflichste an der Keuschheit ist, keinen anderen Menschen berühren zu können. Nicht der Verzicht auf den Liebesakt ist das Schlimme, sondern das Fehlen von Berührung.“
Er nahm ihre Worte schweigend auf und schloss die Augen.
„Als ich noch mit meinen Schwestern zu Hause lebte, waren Berührungen etwas, das ich als selbstverständlich hinnahm. Es schien mir selbstverständlich, dass mir jemand zur Nacht das Haar flocht, mich vor dem Schlafengehen in den Arm schloss, dass ich meiner Schwester morgens den Ellbogen in die Seite stieß, damit sie sich mit dem Waschen endlich beeilte.“
Wie es schien, konnte sie einfach nicht vergessen, weswegen sie gekommen war. Sosehr sie auch versuchte, es zu verdrängen, es ließ sie nicht los. Zumal nun, da er ihr so liebevoll über das Haar strich. Bei ihm hatte sie den Trost gefunden, dessen sie bedurft hatte.
„Nachdem ich von zu Hause fortgegangen war“, erzählte sie weiter, „fand ich eine Freundin. Sie hieß Amalie. Sie war … auch sie war nicht, was sie hätte sein sollen. Sie gab mir guten Rat, unbarmherzigen Rat, der jedoch bitter nötig war. Sie hat mir das Leben gerettet. Sieben Jahre lang war sie mein Ein und Alles, meine einzig wahre Freundin, auf die ich mich immerzu verlassen konnte und die mir in schweren Zeiten beigestanden hat.“
Nun spürte sie, wie ihr die Tränen kamen. Die Augen brannten ihr von all den Tränen, die sie vorhin nicht hatte weinen können.
„Heute habe ich Nachricht erhalten, dass es in London einen Unfall gab.“ Jessica holte tief Luft. „Nun bin ich ganz allein auf dieser Welt. Keine unschuldigen Berührungen mehr. Aber selbst früher gab es Zeiten, in denen ich nach Nähe hungerte, so sehr, dass ich alles – wirklich alles – dafür gegeben hätte.“
Er beugte sich über sie. Ihre Lippen prickelten in freudiger Erwartung, aber er küsste sie nicht. Stattdessen schloss er die Arme um sie und zog sie an sich, streichelte ihren Rücken, langsam und bedächtig, als wolle er jeden Wirbel zählen und seiner Erinnerung einverleiben. Sie konnte seinen Atem an ihrem Hals spüren. Ihre Lider schlossen sich flatternd, und sie ließ sich von ihm halten, hielt sich an ihm.
Nur eine unschuldige Umarmung. Und doch … Zitternd holte er Luft.
„Nein“, sagte er leise. „Das stimmt nicht.“
„Doch, ich dürste nach Nähe, nach Zuneigung.“
„Das meinte ich nicht. Du bist nicht allein.“
Vielleicht war das der Kern seines unausgesprochenen Versprechens. Sie spürte, wie hart, wie angespannt seine Muskeln waren von mühsam beherrschtem Verlangen. Seine Finger gruben sich in ihren
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