Geliebte Kurtisane
Er zog ein Blatt Papier aus seinem Rock und schob es über den Tisch. „Du hast es dir verdient.“
Sie wartete, bis er seine Hand zurückgezogen hatte, erst dann warf sie einen Blick darauf. Es war eine Bankanweisung. Sie war aber nicht seines Geldes wegen erschienen. Sie war erschienen, um ihn anzuklagen.
Er hatte den Wechsel auf dreihundert Pfund ausgestellt. „Seltsam“, sagte sie und hob fragend den Blick. „Wir hatten uns auf tausendfünfhundert geeinigt.“
Er winkte ab. „Ach, Jess. Du weißt selbst, dass ich kein vermögender Mann bin. Außerdem habe ich einen Ruf zu wahren. Bei aller Liebe, aber wohin würde es führen, wenn ich den Huren mein Geld nur so nachwerfen würde?“
Jessica trommelte mit den Fingern aufs Papier. „Ich wüsste nicht, was mich deine Vermögensverhältnisse oder deine Reputation angehen. Wir hatten eine Abmachung.“
„Und was willst du jetzt tun?“, fragte er. „Mich vor Gericht bringen? Damit dürftest du nicht weit kommen. Du weißt, dass unser kleiner Handel nicht rechtsgültig ist.“ Lächelnd beugte er sich über den Tisch und wollte ihre Wange streicheln. „Du weißt, wie du dir den Rest verdienen kannst.“
Sie schlug seine Hand beiseite. „Was lässt dich glauben, ich würde mich noch einmal auf ein Geschäft mit dir einlassen, nachdem du soeben einen Vertrag gebrochen hast?“
Dazu sagte er nichts, schüttelte nur lächelnd den Kopf.
Es war nicht das erste Mal, das er sich so etwas leistete. Sie hatte schon zuvor, während ihres Verhältnisses mit ihm, einen Vertrag mit ihm gehabt – darauf hatte sie bestanden. Doch als es darauf ankam, hatte er auch diesen nicht eingehalten. Es hätte sie fast das Leben gekostet. Nein, er war kein schlechter Mensch. Er war einfach nur egoistisch. Und gedankenlos. Ein gedankenloser Geizhals. Nicht das erste Mal hatten seine Verpflichtungen ihr gegenüber hinter seiner Brieftasche zurückstehen müssen. Es hätte sie also nicht überraschen sollen, dass er es nun wieder versuchte.
„Für diese Summe würde ich dich nicht einmal mit dem kleinen Finger anfassen.“ Sie warf einen Blick auf den Scheck. „Eigentlich für gar keine Summe.“
„Komm schon, so schlimm war ich auch wieder nicht. Man sollte meinen, dass du nach den unbeholfenen Versuchen des tugendhaften Sir Mark einen Mann mit Erfahrung zu schätzen wüsstest.“
Sie stand auf. „Sir Mark hat mich mit einer bloßen Berührung mehr empfinden lassen, als es dir jemals gelungen ist.“
Mit grimmiger Miene griff er nach dem Wechsel. Ehe Jessica sichs versah, hatte sie ihn an sich gerissen. Sie hatte sich das Geld nicht verdient, das jedenfalls schien er zu glauben. Tatsächlich hatte sie überhaupt kein Anrecht darauf, aber …
Die Erinnerung an jene dunklen Monate, nachdem er so leichtfertig ihren letzten Vertrag gebrochen hatte, kam ihr wieder in den Sinn. Ihre schwere Krankheit, das Gefühl, nie wieder hoffen zu können, keine Zukunft mehr zu haben. Diese Trauer, die tief in ihr war, ließe sich mit keinem Geld der Welt vertreiben. Doch er war ihr etwas schuldig.
Noch ahnte er nichts von seiner Demütigung. Erst wenn er das letzte KAPITEL ihres Berichts las, würde er verstehen, was genau sie getan hatte. Bis dahin hätte sie seinen Wechsel längst eingelöst. Er wusste nicht, wo sie wohnte, und bald würde sie London sowieso verlassen haben. Das wäre nur ausgleichende Gerechtigkeit für alles, was er ihr angetan hatte.
„Jess“, sagte er. „Sei vernünftig.“
Sie faltete den Schein zusammen und steckte ihn ein. „Ich heiße nicht Jess.“
„Ach nein? Und wie soll ich dich dann nennen?“
„Darüber“, erwiderte sie, „brauchst du dir keine Gedanken mehr zu machen. Du wirst mich nie wiedersehen.“
„Und was, wenn ich darauf bestehe?“
Sie senkte die Stimme. „Dann erschieße ich dich. Wage dich also nicht in meine Nähe.“
„Jess!“, rief er ihr nach.
Aber sie würde sich nicht umdrehen, nicht nach ihm. Nie mehr. Hoch erhobenen Hauptes ging sie davon.
Nach Marks Wanderung über Land war London umso grauer.
Obwohl Mark kein Wort mehr über Jessica verloren hatte, musste Smite gespürt haben, wie unglücklich sein Bruder noch immer war. Ungefragt begleitete er Mark und Ash nach London. Er hatte sich sogar bereit gefunden, eine Soiree zu besuchen.
Es war das erste Mal, dass alle drei Turners gemeinsam auf einer Gesellschaft erschienen. Nach ihrer Ankunft in der Stadt war ihnen gerade Zeit geblieben, sich frisch zu machen und
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