Geliebte Kurtisane
niemand Ash davon in Kenntnis gesetzt?
Aber nein, sie waren ja erst heute Abend nach London zurückgekehrt. Wahrscheinlich würde Jeffreys, Ashs rechte Hand, ihnen gleich morgen früh die schlechte Neuigkeit überbringen. Aber die Dienstboten … Gewiss wüssten sie Bescheid?
War es das, was sein Kammerdiener gemeint hatte, als er beiläufig fragte, ob Mark sich auf dem Lande gut amüsiert hatte?
„Meine Brüder und ich … wir waren die letzten Tage nicht in der Stadt. Wir waren nicht zu erreichen“, wiederholte er.
Ganz bewusst hatten sie ruhige Wege gewählt, hatten in weit abgeschiedenen Dörfern Rast gemacht. Mark hatte keinem seiner Bewunderer begegnen wollen. Fahrende Händler und Viehtreiber waren ihre Weggefährten gewesen – einfache Leute, denen die feine Gesellschaft gleich war und die keine Gazetten lasen. Doch nun, wenn er es recht bedachte … Auf der Rückfahrt nach London hatten die Menschen im Zug ihn sehr wohl angestarrt und leise getuschelt. Er hatte sich nichts dabei gedacht, auch wenn ihm ihre Blicke bedeutungsvoller vorkamen als sonst. Aber in seinem Zustand war ihm alles auf irgendwie ungute Weise bedeutungsvoll erschienen.
„Wie heißt sie denn?“, hörte er sich fragen. Er wusste es natürlich längst. Jessica.
„Niemand weiß, wer sie ist“, erwiderte das Mädchen. „Aber Sie könnten es mir gewiss sagen?“
Klar und deutlich entsann Mark sich seiner letzten Worte an sie. Schreib, dass du mich in die Knie gezwungen hast … Wahrlich in weiser Voraussicht gesprochen.
Wusste jetzt ganz London von seinem Antrag, seiner Enttäuschung? Hatten ihn deshalb alle mit mitleidigem Blick angesehen? Wie sollte er sie so jemals vergessen?
„Wo ist die Geschichte erschienen? Wie lautet ihr Titel?“
„Er lautet …“ Sie schluckte und warf einen suchenden Blick durch den Saal. Mark wusste nicht, wonach sie schaute. Vermutlich nach ihren Freundinnen, die ihr aufmunternd zuwinkten, sie drängten, ihm alle pikanten Details zu entlocken. Was zum Teufel hatte Jessica geschrieben? Seiner Tanzpartnerin stand die Schamesröte in den Wangen, als sie in einem einzigen Atemzug flüsterte: „Er lautet ‚Die Verführung des Sir Mark‘.“
„Ah, verführt worden bin ich also.“ Das immerhin entsprach der Wahrheit – er war an Körper und Geist in Versuchung geraten, auch wenn er sich mit letzter Mühe zurückgehalten hatte.
„Oh nein, Sir!“, erwiderte sie in aller Unschuld. „Es war furchtbar romantisch. Bei der letzten Folge konnte ich gar nicht mehr aufhören zu weinen. Aber ist es denn wahr? Das wüssten wir alle zu gern“, ließ sie ihn mit großem Ernst wissen und deutete hinter ihn in den Saal. Er wandte sich um, und tatsächlich – dort saßen fünf junge Damen und ließen sie beide nicht aus den Augen. Sowie er sie ansah, versteckten sie kichernd die Gesichter hinter ihren Fächern.
„Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich habe es nicht gelesen. Was soll ich denn wieder angestellt haben?“
„Oh … Sie haben eine Frau kennengelernt, wussten aber nicht, dass sie von Ihren heimtückischen Gegnern angeheuert war, Ihren guten Namen zu beflecken. Und doch … und doch waren Sie nett zu ihr, haben sie so gut und ehrbar behandelt, dass sie beschlossen hat, wieder ein gutes, gottesfürchtiges Leben zu führen.“
Ungläubig sah Mark sie an. „Und das war alles? Dass ich nett zu ihr war?“
Sie nickte eifrig.
Kein Wort von Küssen? Keine Erwähnung des Augenblicks, als sie ihre Finger um die seinen geschlossen hatte? Nett kam der Wahrheit nicht annähernd nah. Fast schon war es demütigend, die Wahrheit zu verschweigen. Vielleicht hatte sie ja wenigstens ihre eigenen Gefühle erwähnt. Was er ihr alles offenbart hatte … Bei Gott, er hatte ihr von seiner Mutter erzählt. Er hatte ihr von Smite erzählt – nicht alles zwar, aber zumindest ein bisschen. Hatte er auch Ashs Geheimnis preisgegeben? Hoffentlich nicht. Das wäre verheerend.
Nein, das hatte er nicht. Dessen war er sich sicher. Das wenigstens war gewahrt geblieben. Noch.
Kein Wunder, dass man ihn mitleidig ansah. Alle Welt wusste, dass er dumm genug gewesen war, auf eine Lügnerin hereinzufallen – und sich in sie zu verlieben.
„Sir Mark“, hörte er seine Tanzpartnerin nun feierlich sagen, „ich meine für jede der hier anwesenden Damen zu sprechen, wenn ich behaupte, dass auch ich mich in Sie hätte verlieben können – hätte ich mir nicht so sehr gewünscht, dass Sie sie lieben.“
Vom Rand der Tanzfläche
Weitere Kostenlose Bücher