Geliebte Kurtisane
Abendgarderobe anzulegen. Als sie nun den Salon betraten, hatten die beiden Brüder Mark in ihre Mitte genommen.
Alle Köpfe wandten sich zu ihnen um, als ihr Eintreffen angekündigt wurde. Mark hätte es nicht wundern sollen. Ash war ein Duke, Mark erfreute sich noch immer unerklärlicher Popularität und Smite war gut aussehend, vermögend … und machte sich rar, was ihn umso interessanter machte.
Mark war lange genug aus London fort gewesen, der feinen Gesellschaft lange genug ferngeblieben, um fast vergessen zu haben, wie der Besuch einer solchen Veranstaltung war. Alle schauten ihn an. Das ist nicht weiter auffällig, sagte er sich. Immer schauten alle ihn an, daran hatte er sich gewöhnt. Er bildetet sich nur ein, dass die Blicke, die jetzt auf ihn gerichtet waren, leicht mitleidig waren. Ach was, niemand konnte wissen, was passiert war.
Alles war wie immer, die übliche Bewunderung, weil er Ritter Ihrer Majestät, weil er beliebt und berühmt und letztlich auch vermögend war. Heute Abend störte es ihn dennoch mehr als sonst.
Aber dann brauchte er nur nach links und rechts schauen und erkannte, dass er wirklich reich war – nur eben ganz anders, als die Leute dachten. Ehe Ash sein Vermögen gemacht hatte, hatte es magere Jahre gegeben. Mark würde nie vergessen, wie Hunger sich anfühlte. Es war weniger eine bewusste Erinnerung, als vielmehr ein Gefühl, das ihn von Zeit zu Zeit überkam, rasch wieder verging, doch nie vergessen war. Wahrer Luxus bemaß sich nicht in Samtwesten und seidenen Zylindern, auch nicht in gut gefederten Kutschen und Marzipankonfekt auf Silbertellern.
Es war die Gewissheit, dass seine Brüder ihm zur Seite standen, ohne dass er sie auch nur darum zu bitten brauchte. Sogar Smite. Selbst inmitten dieser Menschenmenge. Wenn er sich recht entsann, hatten seine Brüder ihn sein ganzes Leben lang beschützt. Er war schon reich geboren worden.
Vielleicht gab ihm das die Kraft, sich ein Lächeln abzuringen und einen Freund zu begrüßen, den er seit Monaten nicht gesehen hatte. Vielleicht konnte er deswegen über die verstohlenen Blicke hinwegsehen, das heimliche Getuschel hinter vorgehaltener Hand. Vielleicht konnte er deshalb fast sorglos plaudern und so tun, als sei während seiner Abwesenheit nichts geschehen. Er wusste, dass seine Brüder für ihn da waren, sie gaben ihm Halt, was immer auch geschah.
Er konnte sich gar überwinden, eine junge Dame zum Tanz aufzufordern, wenn auch ihr Name ihm entgangen war, als man sie einander vorgestellt hatte. Es war so leicht, alle zu täuschen. Er musste einfach nur so tun, als sei alles wie immer, als sei nichts geschehen. Mechanisch tat er, was von ihm erwartet wurde – lächelte, plauderte, schüttelte Hände. Er kam sich vor wie ein Spielzeugritter mit perfekt aufgezogenem Uhrwerk.
Sowie er aber auch nur einen Gedanken an sie verschwendete, kehrte die Erinnerung mit aller Wucht zurück. Verglichen mit Jessica waren die Damen auf dem Ball nur ein blasser Abklatsch. Jessica war wärmer, lebendiger. Und wenn auch das junge Mädchen, mit dem er gerade tanzte – eine Debütantin, die ihn mit leicht verwundertem Blick betrachtete –, durchaus hübsch anzusehen war, schweifte seine Aufmerksamkeit immer wieder von ihr ab.
Wie weh es tat, an Jessica zu denken! Doch langsam, ganz langsam, wurde der Schmerz schwächer, dumpfer, wie eine allmählich verheilende Wunde.
„Denken Sie noch an sie?“, fragte die junge Dame.
Mark runzelte irritiert die Stirn. Hatte er soeben laut gedacht? Nein, gewiss nicht. Da war er sich sicher. Trotzdem war er leicht irritiert, als er den Kopf schüttelte.
Die junge Dame sah ihn gespannt an, in ihrem Blick lag aber nicht jene Bewunderung, die er von Debütantinnen gewohnt war. „Haben Sie sie sehr geliebt?“, fragte sie atemlos. „Das ist die Frage, die wir uns alle stellen.“
Fast wäre er über seine eigenen Füße gestolpert. „Wovon reden Sie?“
„Von der Frau in der Zeitung“, sagte sie. „Wovon denn sonst? Seit Tagen redet niemand mehr über etwas anderes. Und nun, da die letzte Folge erschienen ist …“
„Die letzte Folge? Ich verstehe kein Wort.“
„Sie wissen nichts davon?“ Ungläubig sah sie ihn an. „Oh nein. Dabei hatten meine Freundinnen mich extra ausgeschickt, um alle Einzelheiten von Ihnen in Erfahrung zu bringen … Sie müssen doch davon wissen!“
„Ich war in den letzten Wochen nicht in der Stadt gewesen“, verteidigte er sich. Er ahnte Schlimmes. Warum hatte
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