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Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
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anderen Ufer erwartete uns schon unsere Großfamilie, und sie folgten uns nach, und so wanderten wir gemeinsam zuerst zwischen den Feldern dahin und später durch die Wüste, und zuletzt ging's steil den Berghang hinauf auf den Ötscher zu den Felsengräbern. Das waren lange, unheimliche Gänge und große, unheimliche Säle, mit und ohne Säulen oder Pfeiler, alles in mühsamster Arbeit aus dem gewachsenen Felsen herausgemeißelt und mit überwältigend schönen Bildern bemalt. Und der letzte Saal war noch dazu voll mit den kostbarsten Schätzen, und da stand ein Thron aus purem, funkelndem Gold, gerade recht für zwei Reiseleiter wie Maria und mich, und wir setzten uns gemeinsam drauf und hatten wunderbar Platz zusammen, und ich genoß es sehr, Marias Körper so eng neben dem meinen zu spüren. Und von diesem Thron aus hielten wir unserer Großfamilie lange Vorträge und lehrten sie, ihre Vorurteile zu vergessen und ihre Mitmenschen nicht nach ihrem Geschlecht, nach ihrer Herkunft, nach ihrem Aussehen oder nach ihrem Glauben zu beurteilen, sondern nur nach ihrer Menschlichkeit. Und zuletzt bewirteten wir sie mit frischgepreßtem Zuckerrohrsaft und selbstgebranntem Obstler, und sie lachten herzlich und applaudierten begeistert. Und so erkannten wir, daß sie endlich glücklich und von ihren Ängsten und Vorurteilen befreit sind, und schickten sie alle heim, und wir lehnten uns zurück und ruhten uns aus und lauschten den schwermütigen orientalischen Weisen des Bootsmannes und umarmten uns und begannen uns, eng umschlungen, zu küssen und zu streicheln, und der Gesang des Bootsmannes wurde immer lauter und lauter, und wir wurden immer erregter und erregter, und da erwachte ich zu meinem allergrößten Bedauern - denn meine Seele, das spürte ich in diesem Moment mit übergroßer Deutlichkeit, war inzwischen total ausgetrocknet und dürstete bereits wieder nach einigen Streicheleinheiten, sprich: nach etwas Liebe und Zärtlichkeit -, ich erwachte also, und meine Maria versank mitsamt ihrer Liebe und Zärtlichkeit in den Tiefen meines Unterbewußtseins; aber der Gesang des Bootsmannes - der versank nicht, der war auch weiterhin zu hören, nur war's kein Bootsmann mehr, der da sang, sondern der Muezzin.
    Ich versuchte rasch wieder einzuschlafen, um den Traum fortzusetzen, und war auch schon nahe dran, da der Gesang leiser geworden war; aber dann wurde er plötzlich wieder lauter und riß mich unsanft in den Zustand des Wachseins zurück. Und so ging das noch ein paarmal, und als der Muezzin endlich fertig war, war ich so wütend, daß ich erst recht nicht wieder einschlafen konnte. Und als mich Morpheus nach geraumer Zeit doch wieder in seine Arme nahm, da riß mich mein Wecker sofort wieder unsanft aus ihnen heraus, und es war Zeit aufzustehen; denn heute war schon um halb acht Abfahrt.

    2. Teil

    Die Klugheit sich zur Führerin zu wählen,
    das ist es, was den Weisen macht
    (SCHILLER)

    Also, wie gesagt, um halb acht Uhr war bereits Abfahrt. Heute stand uns nämlich eine sehr lange und anstrengende Fahrt bevor. Es war Mittwoch, und dieser Mittwoch sollte ein sozusagen göttlicher Tag werden, das heißt, er sollte unter der Schirmherrschaft dreier ägyptischer Gottheiten stehen, nämlich zuerst des Sonnengottes Aton, dann des Totengottes Osiris und zuletzt der Liebesgöttin Hathor. Und damit sind die drei Hauptbesichtigungen dieses Tages genannt; die meisten ägyptischen Götter besaßen nämlich einen ganz bestimmten Wohnort. Als erstes sollte also die Stadt des Sonnengottes Aton, heute als Amarna bekannt, besucht werden, und unsere liebe Myriam begann gleich nach der Abfahrt mit einer ausführlichen und zugleich äußerst einfühlsamen Vorbereitung auf den Teil der ägyptischen Geschichte, den man die Revolution von Amarna nennt: der Pharao Echnaton, der Gemahl der schönen Nofretete, lehrte zum ersten Mal in der Weltgeschichte eine monotheistische Religion, in der die Sonne als einzige Gottheit, als alleiniger Schöpfer aller Dinge, als ausschließlicher Urgrund allen Lebens verehrt wurde. Der bisherige Vielgötterglaube war nun verboten; ja, sogar das Wort 'Götter' in der Mehrzahl war verpönt. Und um den Bruch mit den traditionellen Glaubensvorstellungen vollkommen zu machen, gründete Echnaton eine neue Hauptstadt und verließ die bisherige Hauptstadt Theben. Und nicht nur die Religion änderte sich nun grundlegend, sondern die ganze Lebensweise inklusive Sprache, Staatswesen und Kunst. Allerdings überlebte

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