Geliebte Myriam, geliebte Lydia
neben der Babsi zu räumen, setzte ich mich auf seinen alten Platz der Babsi gegenüber und neben der Lydia. Diese bestand übrigens darauf, ihre Flasche selber zu öffnen und nachher selber einzuschenken, und das ging ganz ohne Katastrophe und auch ohne sonstige ungewöhnliche Vorfälle ab. Das einzige Berichtenswerte wäre, daß sie jetzt etwas beschwipst tat und sich an mich anlehnte. Ja, sie war auf einmal anlehnungsbedürftig, und ich genoß das, sag' ich euch! Zumal wo ich noch ganz erfüllt war von der Szene von vorhin.
So war also unsere Sauf- und Lachorgie wiederhergestellt und in vollem Gang, als es auf einmal klopfte. Jawohl, es klopfte an der Tür, unverkennbar. Das war nicht etwa der Götzi, der der Lydia auf die verführerischen Schenkel geklopft hätte; das konnte ich nämlich bestens bezeugen. Nein, an der Tür hatte es geklopft, da war ich ganz sicher. Oje, wir sind wahrscheinlich zu laut gewesen! Garantiert kommt sich da einer beschweren! Der Götzi, der ja jetzt außen sitzt, steht schwerfällig und mit säuerlichem Gesicht auf, geht zur Tür und macht sie vorsichtig auf. Man hört ein unverständliches Gemurmel - inzwischen sind wir natürlich ganz still geworden und tun so, als ob wir das den ganzen Abend gewesen wären -, aber ein Wort verstehe ich nur allzu gut, und das ist das Wort 'Reiseleiter'. Reiseleiter - oje, damit bin sicher ich gemeint! Ich mache erst einmal ein langes Gesicht und schaue von Lydia zu Babsi und von Babsi wieder zu Lydia, die mich beide mit derart mitleidsvoller Miene betrachten, daß ich einen kleinen Lachkrampf kriege. Dann trinke ich noch schnell einen Schluck, stelle meinen Becher auf das Nachtkästchen, springe auf und eile zur Tür. Und wen finde ich da? Den Herrn Schroll im Pyjama und mit einem Gesicht zum Fürchten. Und beschwert er sich über unsere Sauf- und Lachorgie, wegen der er nicht schlafen könne? Nein, Gott sei Dank, das ist es nicht! Denn er entschuldigt sich zunächst einmal tausendmal für die Störung zu so später Stunde - wie spät ist es denn eigentlich? Was? Fast dreiviertel zwölf schon? Kinder, Kinder, wie die Zeit vergeht! Ja, und wissen Sie, unsere Barbara ist noch immer nicht zu Hause, und wir wissen nicht, wo sie steckt! Und meine Frau macht sich jetzt schon solche Sorgen und hat mich ausgeschickt, um sie zu suchen. Das ganze Haus hab' ich schon abgesucht. Und jetzt bin ich halt bei Ihnen gelandet. Vielleicht haben Sie eine Ahnung, wo unsere Barbara stecken könnte?
Hm - hab' ich eine Ahnung, wo Klein-Barbara stecken könnte? Naja, eine diesbezügliche Ahnung überkommt mich da jetzt tatsächlich, aber die will ich ihm auf gar keinen Fall auf die Nase binden. Bin ich denn ein Spielverderber? Na eben! Und so gebe ich ihm zur Antwort, er möge nur unbesorgt schlafen gehen, es sei ganz bestimmt völlig harmlos, und ja, ich glaube zu wissen, wo Barbara stecken könnte.
Naja, besonders überzeugt schaut er mir nicht drein, aber nach kurzem Zögern versichert er sich noch einmal, daß ich sie ja unverzüglich nach Hause schicken werde, bedankt sich dann, wünscht mir und auch dem Götzi gute Nacht und trollt sich schließlich. Ich schließe die Tür, sage zu Lydia und Babsi, die mich mit großen Augen anschauen, lakonisch: 'Klein-Barbara ist abgängig', suche mir kichernd meine Zimmerliste heraus, hebe den Telefonhörer ab und beginne die Nummer des Zimmers zu wählen, in dem Clemens und Florian wohnen. Aber da kommt mir ein Nachgedanke, ein Afterthought, wie man im Englischen sagt, und ich lege den Hörer sofort wieder auf, ohne die Nummer fertiggewählt zu haben. Bin ich denn ein Spielverderber? denke ich bei mir. Möglicherweise ist das genau das Verkehrte, wenn ich jetzt bei denen anrufe. Bestimmt schläft Klein-Florian, und durch das Klingeln des Telefons würde er höchstwahrscheinlich aufwachen. Da hätte ich dem Herrn Schroll ja gleich meinen Verdacht verraten können!
'Ich muß persönlich hin!' murmelte ich, indem ich aufstand. 'Ja, ja, das sind die Freuden eines Reiseleiters! Aber daß ihr mir in der Zwischenzeit schön brav bleibt, ja?' Und dazu erhob ich den Zeigefinger und drohte ihnen wie ein gestrenger Schulmeister seinen Schülern, und mit der anderen Hand fuhr ich der Lydia leicht über die Haare, so wie sie's an diesem Abend schon bei mir gemacht hatte - das heißt, nicht ganz so, denn sie war mir über Haare und Bart gefahren, und ich, ich fuhr ihr halt nur über die Haare. Naja, und mit den Worten 'Bin eh gleich wieder
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