Geliebte Myriam, geliebte Lydia
'Herrlich, wie du das formulierst!' Dann dreht sie ihren Kopf herum, wirft mir wieder einen eindeutig bewundernden Blick zu und sagt, etwas ernster und leiser: 'Aber ich höre dir immer so gern zu! Ja! Für mich ist es ein Hochgenuß, deinen Vorträgen zuzuhören! Irgendwann hab' ich's dir sagen müssen!' Und dann legt sie mir den Kopf auf die Schulter und schaut träumerisch vor sich hin, und ich ziehe meine Hand von ihrer Schulter ab und beginne ihr über die Haare zu streicheln, und längere Zeit spricht keiner ein Wort. Dann macht sie sich vorsichtig, aber zielstrebig frei, steht auf und sagt: 'Ich mag ein bisserl auf den Balkon, sonst schlaf' ich ein. Kommst du mit mir?'
Na klar komme ich mit ihr, und so treten wir auf den Balkon hinaus und schnuppern erst einmal die herrliche, frische, überraschend kühle Luft, betrachten den herrlichen Vollmond und lauschen den von den umliegenden Häusern und Straßen auf uns eindringenden Geräuschen. Unser Balkon geht zwar auf einen unansehnlichen, dafür aber halbwegs ruhigen Hinterhof, aber den Verkehrslärm, den Lärm von den zahllosen Fernsehapparaten bei offenem Fenster und das Stimmengewirr der zahllosen plaudernden, singenden, grölenden oder einfach schreienden Menschen hören wir nur allzu deutlich. Ja, auch die Nase hat mehr zu tun als nur frische Nachtluft schnuppern: von den interessantesten Düften der orientalischen Küche wird sie gekitzelt, hin und wieder aber leider auch von ganz banalen Autoabgasen beleidigt.
Aber die Lydia ist von diesen vielen Eindrücken total fasziniert. Und - wahrscheinlich, um auch dem Tastsinn etwas zu tun zu geben - ergreift sie plötzlich meine Hand und sagt: 'Ach, Christian, ist das nicht schön? Ich könnte weinen, so schön und aufregend ist das!'
Dazu fällt mir jetzt leider keine Formulierung ein, die sie bewundern könnte, und so bleibe ich halt weiterhin stumm und genieße zunächst einmal einfach den Druck ihrer weichen Hand auf meiner Hand. Aber dann drehe ich mich um 180 Grad um und lege ihr den anderen Arm um den Hals und stehe damit unmittelbar vor ihr, genau wie vorhin in ihrem Zimmer, und sie sträubt sich nicht im geringsten dagegen. Und dann tue ich genau das, was vorhin sie in ihrem Zimmer getan hat: ich lege meine Lippen vorsichtig und zärtlich auf ihre Lippen und lasse sie dort liegen, und auch dagegen sträubt sie sich nicht, im Gegenteil: sie wird zusehends unruhig und beginnt wieder schwer zu atmen. Und dann öffnet sie sogar ihren Mund, und ihre Zunge wird lebendig und beginnt die meine zu suchen. Und die beiden finden sich und haben sich eine Menge köstlicher Dinge zu erzählen.
Und dann trennen sich unsere Lippen wieder voneinander, und wir schauen uns eine Zeitlang gegenseitig nur fassungslos an, und ich finde immer noch keine Worte. Aber sie findet Worte, und wißt ihr, was sie zu mir sagt? Sie sagt: 'Ha - einfach toll, wie du küßt!' Und jetzt fällt mir endlich das Richtige zum Sagen ein: 'Also nimmst du's mir auch diesmal nicht übel, wenn ich dich noch einmal küsse? Du weißt ja: meine Küsse treten immer nur zu zweit auf - genau wie deine verführerischen Knie!' Und ohne ihre Antwort abzuwarten, wiederhole ich den Kuß, und er ist noch traumhafter als der erste, und Lydia erscheint noch hingerissener und atmet noch schwerer, und ihr Körper verliert seine bisherige relative Steifheit und wird biegsam wie eine Gerte und beginnt, wie eine Gerte im Wind, hin- und herzuschwanken oder -zuwiegen, oder man könnte auch sagen: -zutanzen, und mein Körper, an den ihren gepreßt, schwankt oder wiegt oder tanzt mit, und es ist einfach wunderbar.
Und weil's so wunderbar ist, wird meine Hand, die bis jetzt ruhig auf ihrer Schulter gelegen ist, leider unruhig und beginnt ihren ganzen Rücken zu erforschen und gerät dabei in immer tiefere Regionen. Und dagegen sträubt sich die liebe Lydia jetzt doch, und sie beendet den Kuß und macht sich von mir frei. Nicht, daß sie auf mich böse wäre oder so, o nein, sondern, sobald sie ihre Sprache wiedergefunden hat, macht sie mir erneut ein tolles Kompliment und schaut mich bewundernd an. Aber dann blickt sie besorgt ins Zimmer hinein, wirft einen Blick auf die Uhr und sagt: 'Na, die brauchen aber schön lang!'
'Ja, das kommt mir auch so vor!' sage ich darauf. 'Sollten wir vielleicht einmal nachschauen gehen?'
Diesen Vorschlag findet sie so komisch, daß sie sich über ihn nicht nur halb tot lacht, sondern sich richtig an meinem Hals anhalten muß. Sobald
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