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Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
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rechts heulte Lydia. Dabei war's noch ganz finster, ich meine: keine hatte ein Licht eingeschaltet. Ja, um Himmels willen, was war denn passiert? Natürlich war mein erster Gedanke der an die verwirrenden Ereignisse der Nacht, und das schlechte Gewissen kam über mich, und ich lehnte mich als erstes über Lydia, um sie zu trösten und zu fragen, weshalb sie denn so bitterlich weine. Und wißt ihr, wie sie darauf reagierte? Ich dachte, mich trifft der Schlag. Sie hob, ohne ein Wort zu sagen oder sich auch nur ein wenig zu beruhigen, den Arm und wehrte mich ab, ja, stieß mich zurück. Ich fragte sie, warum sie das tue und was denn mit ihr los sei und warum sie denn nichts sage, und mehr von der Sorte, jedoch ohne den geringsten Erfolg. Myriam hatte sich inzwischen von selber beruhigt, knipste ihre Taschenlampe an, stand auf und verschwand mitsamt ihrer Taschenlampe in unserem sogenannten Bad. Sobald ich mit Lydia allein war, setzte ich meine Bemühungen, der Lydia eine Erklärung ihres untröstlichen Zustands zu entlocken, mit verdoppeltem Eifer fort, und nun brach sie zum ersten Mal ihr Schweigen und sagte mit leiser, tonloser Stimme: 'Ich bin furchtbar enttäuscht!' und begann sofort wieder zu heulen - wie ein Schloßhund, könnte man sagen; ich übertreibe nicht. Nun drängte ich sie zu sagen, von was oder von wem sie so furchtbar enttäuscht sei, und wußte im Innersten doch die Antwort ganz genau. Trotzdem wagte ich sie daraufhin nicht direkt anzusprechen; das Äußerste, worauf ich mich einließ, war die Frage, ob sie eventuell von mir so furchtbar enttäuscht sei, aber auch darauf gab sie keine Antwort. Immerhin ging ich so weit, ihr zu versichern, daß es mir, falls sie von mir enttäuscht sein sollte, sehr leid tue. Aber nicht einmal darauf sagte sie irgendwas.
    Inzwischen wurde es wieder hell, und Myriam kam zurück, besah sich die Bescherung und machte sich umgehend nicht nur selber über unsere bereits spärlichen Fressalien her, sondern fütterte auch mich und lud Lydia ein mitzufrühstücken. Aber Lydia lehnte entschieden ab, das heißt, sie reagierte überhaupt nicht, außer daß sie sich auf andere Seite drehte und Myriam und mir den Rücken zukehrte. Und als ich sie bat, doch etwas zu essen, hatte ich damit genau denselben Erfolg. Und nicht anders war's, als ich dann nach dem Frühstück zur Arbeit rief: Lydia rührte sich nicht und sagte auch nach wie vor kein Wort, sondern schluchzte nur bitterlich. Aber unsere Arbeit konnte nicht warten; sie war vielleicht lebenswichtig, und das sagte ich ihr auch. Keine Antwort. Daraufhin kniete ich vor ihr nieder, um sie zu küssen und mich zu empfehlen, aber sie wehrte meinen Kuß ab und erwiderte auch meinen Gruß nicht.
    Hierauf nickte ich der Myriam zu, und wir machten uns eben ohne Lydia auf den Weg - zwar mit schrecklichem Bauchweh; aber was half's? Es mußte sein, und Geschehenes war nun einmal nicht mehr ungeschehen zu machen. Trotzdem fielen wir uns, sobald wir die Schmale Pforte passiert hatten, als allererstes gegenseitig um den Hals und standen, eng aneinandergepreßt, die längste Zeit einfach so dort und genossen die körperliche Nähe des anderen und berauschten uns an der Erinnerung an die unglaublichen nächtlichen Ereignisse - ich jedenfalls; aber zugleich hatte ich schreckliches Herzklopfen bei dem Gedanken an meine Lydia und daran, was sie gehört haben mochte und wie sie jetzt darunter zu leiden schien. Und erst am Ende dieser langen Umarmung küßten wir uns lang und zärtlich, um uns anschließend nur zögernd voneinander zu lösen und den Weg in die Hotelsuite fortzusetzen.
    Dort angekommen - und das ging wieder nicht ohne sehnsüchtigen Blick auf die Inschrift über dem Eingang ab und auch nicht ohne einiges Kopfzerbrechen, was man nur tun könne, um sie lesbar zu machen -, umarmten und küßten wir uns erneut, widmeten unserer Lydia eine besorgte Gedenkminute und machten uns dann sofort an die Arbeit. Das heißt, ich kniete mich hin, ergriff meinen tibetanischen Löffel, den ich über die Nacht einfach hatte stecken lassen - es war ja an sich wenig Gefahr, daß er mir inzwischen gestohlen würde, nicht? - und begann das zu tun, was die kleinen Kinder immer mit solcher Begeisterung und mit solcher Hingabe tun: sandspielen nämlich. Myriam hingegen setzte sich erst einmal auf den Boden, umfaßte mit den Händen ihre Knie und begann mir schweigend bei der Arbeit zuzuschauen, oder ich könnte auch so sagen: mich unverwandt anzustarren; und

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