Geliebte Myriam, geliebte Lydia
dabei gab sie, wie gesagt, keinen Ton von sich, und ihre Miene wurde immer ernster und verschlossener. Mir war klarerweise auch nicht gerade zum Plaudern zumute, denn die Sache mit der Lydia lag mir schwer im Magen; das könnt ihr euch gar nicht vorstellen. So wurde also die längste Zeit kein Wort gesprochen, und man hörte nur das gleichmäßige, leise Geräusch, das ich mit meiner Schaufelei verursachte, und sonst nichts, wenn man von Myriams gelegentlichem Räuspern absieht. Es war so still, und der Rhythmus meines Schaufelns war so gleichmäßig, daß mir nach einiger Zeit bewußt wurde, daß mir ständig ein bestimmtes Mozartthema durch den Kopf ging - ich glaube, aus dem zweiten Satz eines seiner Klavierkonzerte, so eines, wo einem beim Zuhören die Tränen kommen; und dabei drohten mir fast wirklich die Tränen zu kommen, und abgesehen vom Bauchweh wegen der Sache mit der Lydia begann ich das totale Fehlen von wirklicher Musik in unserem Gefängnis schmerzlich zu empfinden - nicht der seichten Bumm-bumm-Musik, der man heutzutage fast überall hilflos ausgeliefert ist; deren Fehlen empfand ich sogar als höchst angenehm; nein, sondern guter Musik, egal, ob klassisch oder nicht. Und um die Verwirrung meiner Gefühle voll zu machen, meldete sich da noch eines, und ich möchte es euch nicht verschweigen, auch auf die Gefahr hin, daß ihr dann schlecht von mir denkt ...“
„Oh, keine Angst!“ ruft gackernd die Henne dazwischen. „Das tun wir so und so schon - nicht wahr, Johnny?“
Doch Johnny schmunzelt nur, und Giggerle sagt etwas pikiert: „Soso!“, schüttelt den Kopf, beginnt dann selbst zu schmunzeln und fährt schließlich fort: „Na, das hätte ich mir ja gleich denken können ... Also, wie gesagt, da meldete sich zunehmend auch noch das Gefühl eines gewissen Stolzes - des Stolzes auf meinen unbestreitbaren Erfolg bei der Myriam; noch dazu hatte er sich so unerwartet eingestellt, nicht wahr, nachdem ich so lang im stillen gehofft hatte und gleichzeitig stets ohne jede Hoffnung gewesen war.
Während ich also unentwegt vor mich hin schaufelte und dabei solchen Gedanken und Gefühlen hingegeben war, brach auf einmal die Myriam das tiefe Schweigen und sagte oder vielmehr murmelte mehr zu sich selber: 'Es tut mir so schrecklich leid!' und verstummte sofort wieder und starrte mich weiterhin mit ernster, ja, wehmütiger Miene an.
'Ja, was tut dir denn so schrecklich leid?' fragte ich, ohne mich in meiner Arbeit beirren zu lassen, und wußte doch schon im voraus, was sie damit meinte. Sie beantwortete aber meine Frage nicht, sondern sage nach längerem Zögern im selben Flüsterton wie zuvor: 'Habíbi ...'
'Oh, das Wort kenn' ich schon!' rief ich aus und sagte leise und in zärtlichem Ton: 'Du nennst mich Habíbi?'
Und ohne auf meinen linguistischen Enthusiasmus einzugehen, wiederholte sie: 'Habíbi ... du liebst sie sehr, nicht wahr?'
'Wen? Die Lydia?' Und als sie darauf nichts antwortete, sagte ich: 'O ja. Sicher. Aber dich ...'
'Und wirst du sie heiraten?'
'Heiraten?' Jetzt war ich wirklich baff und sagte nach einer langen Schrecksekunde: 'Aber ich bin ja schon verheiratet.'
'Du bist schon verheiratet?' wiederholte sie sichtlich erschrocken und riß ihre Augen weit auf, was, objektiv betrachtet, höchst reizvoll aussah.
'Ja, aber ...', begann ich und wollte ihr, um mich zu rechtfertigen, schon von meiner Ehemisere erzählen. Doch sie ließ mich nicht ausreden, sondern sagte so spontan, daß mir die Spucke wegblieb: 'Ich liebe dich trotzdem. Ich kann mir nicht helfen.'
Da vergaß ich aufs Schaufeln, schaute sie mit großen Augen an und sage dann: 'Aber ich liebe dich auch. Das weißt du ganz genau. Und ich möchte, daß wir zusammenbleiben. Am liebsten wär's mir, wenn du mit mir nach Österreich kommen könntest. Glaubst du, könntest du ...'
'Wie stellst du dir denn das vor?' unterbrach sie mich mit sanfter Stimme und fuhr, bevor ich darauf noch was sagen konnte, fort: 'Soll ich dir verraten, zu welchem Entschluß ich mich vorhin durchgerungen habe? Aber glaube nicht, daß er mir leicht gefallen ist!'
'Hm?'
'Daß ich deiner Lydia und, wie ich nun eben erfahren habe, auch deiner Frau nie wieder Anlaß geben werde, sich über mich zu grämen. Mit anderen Worten, daß ich nie wieder mit dir ... Wie sagt man auf deutsch?'
Aber ich half ihr nicht, sondern schaute sie nur ungläubig und entsetzt an. Schließlich nahm sie den Faden wieder auf und sagte: 'Lydia tut mir so leid. Ich kann gut
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