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Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
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verschiedenen Richtungen zielstrebig auf uns zukommen. Die eine ist ein kleines Büblein, oder vielmehr exakt dasselbe kleine Büblein, das uns, nämlich Lydia und mir, vor genau einer Woche auf Lydias Geheiß und Lydias Kosten ebenfalls während der Überfahrt über den Nil die Schuhe geputzt hat. Schuhe putzen - na, das wär' eine Idee! Da kämen wir dann von oben bis unten vollkommen verdreckt und abgerissen und meine zwei armen Süßen obendrein blutverschmiert und blutverkrustet daher, aber unsere Schuhe wären auf Hochglanz! Was für eine Vorstellung! Übrigens scheint uns das Büblein auf Anhieb wiederzuerkennen; er begrüßt uns und besonders Lydia freudig und scheint sich an meinem unzivilisierten Zustand zwar nicht im geringsten zu stoßen, schreckt sich aber über Lydias Aussehen und bemitleidet sie in seiner naiv-kindlichen Art auf entzückende Weise. Aber auch Myriam begrüßt er wie eine alte Bekannte und wartet anschließend still und geduldig, bis er den Auftrag bekommt, unsere Schuhe zu putzen.
    Daß er ein wenig warten muß, das versteht sich für ihn offensichtlich von selbst, denn zum selben Zeitpunkt wie er oder vielleicht ein paar Sekunden später gesellt sich, wie schon erwähnt, noch eine weitere Person zu unserem Gruppenbild, und das ist der Fahrkartenverkäufer, und dessen Tätigkeit geht selbstredend vor, denn der will uns ja Fahrkarten verkaufen; drum heißt er ja auch so. Ja, jetzt wird's kritisch! Jetzt kommt's darauf an, ob meine zwei Süßen noch was übrig haben oder ob ihre Taschen ebenfalls von jenen Schweinen geplündert worden sind. Und so informiere ich sie mit wenigen Worten von der Schweinerei, die diese aller Wahrscheinlichkeit nach angerichtet haben, und bitte sie, geschwind in ihren Taschen nachzusehen, ob ihre Geldbörsen noch drin sind oder nicht. Nun, sie sehen sofort nach, sie stöbern, sie kramen, sie wühlen in ihren Taschen, und das Ergebnis entspricht exakt meinen Erwartungen und Befürchtungen: ihre Geldbörsen sind weg. Da brechen sie zwar nicht in laute Wehklagen aus - dafür sind sie wahrscheinlich entweder schon zu geschwächt oder zu benommen -, wohl aber erstarren sie zu den sprichwörtlichen Salzsäulen und fallen somit für die bevorstehenden Erklärungen und Verhandlungen total aus. Es bleibt also wieder einmal alles an mir hängen.
    Also deute ich dem Fahrkartenverkäufer möglichst plastisch in Zeichensprache, daß wir leider alle drei ausgeplündert worden sind und keinen Groschen, keinen Cent und keinen Piaster übrig haben. Uh - was glaubt ihr, wie der daraufhin in die Luft ging! 'Explodieren' ist ein Hilfsausdruck, das sag' ich euch! Gerade, daß er uns nicht über Bord warf! Zum Glück hatte er gleich den Richtigen zur Hand, auf den er seine Wut und seine Empörung abladen konnte, nämlich den Uniformierten, der ein wenig belämmert daneben stand und wahrscheinlich von höchst widerstrebenden Gefühlen hin- und hergerissen wurde, als er mitanhören mußte, was wir in unserer himmelschreienden Verworfenheit dem armen, bejammernswerten Fahrkartenverkäufer angetan hatten. Erst mußte er's nur mitanhören, und dann wurde er höchstpersönlich von einem nicht enden wollenden Schwall von Worten überschüttet, und dabei kam er mir fast wie ein Ertrinkender vor, der unablässig nach Luft schnappt und keine bekommt. Aber als der Wortschwall dann endlich versiegt war und sich wieder göttliche Ruhe oder aber betretenes Schweigen ausbreitete, da riß er sich sichtlich am Riemen, nahm eine stramme Haltung an, setzte seine Amtsmiene auf und fragte mich in wieder deutlich barscherem, wenn auch bei weitem nicht so barschem Ton wie am Anfang, ob die Vorwürfe des Fahrkartenverkäufers wahr seien. Ich wollte schon sagen: Ich hab' ja kein Wort davon verstanden, aber sehr wahrscheinlich hat er sich beschwert, daß wir nicht zahlen wollen oder können, und wollen täten wir ja schon, nur können tun wir nicht - also, das oder sowas Ähnliches wollte ich gerade sagen, da begann zur meiner Überraschung plötzlich Myriam zu reden, und zwar auf arabisch, und sie redete zwar leise und stockend, aber trotzdem mit einer gewissen Resolutheit, und ihren Worten war eine gewisse moralische Entrüstung deutlich anzumerken. Der Uniformierte hörte ihr mit spürbarer Betroffenheit zu, und als sie fertig war, schaute er sie noch eine Zeitlang nachdenklich, mitleidig und vielleicht sogar bewundernd an, drehte sich dann um, setzte erneut seine Amtsmiene auf und redete in

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