Geliebte Schwindlerin
Kopfschmuck aus der Schachtel nahm, stand Minellas Entschluß fest, ihn nicht anzulegen. Er war ihr zu aufdringlich und wäre von ihrer Mutter entschieden mißbilligt worden.
Sie legte den Federschmuck auf den Frisiertisch und sagte: „Er wirkt mir zu überladen. Man hat ihn mir geliehen, aber er paßt nicht zu mir.“
Rose lächelte verstehend. „Sie sind viel zu jung für Reiherfedern, Miß, aber ganz ohne Schmuck im Haar geht es auch nicht.“
Minella hatte eine Vase mit wunderschönen weißen Orchideen auf dem Frisiertisch entdeckt. Rose war ihrem Blick gefolgt und rief begeistert aus: „Orchideen! Die sind genau das passende, Miß. Seine Lordschaft züchtet einige wunderschöne Exemplare im Treibhaus.“
Sie nahm zwei Blüten aus der Vase und steckte sie dekorativ hinter Minellas Haarknoten. Das wirkte sehr hübsch und keineswegs aufdringlich.
Während Minella ihr Spiegelbild betrachtete, stellte sie fest, daß ihr geliehenes Abendkleid ein zu tiefes Dekolleté hatte, um noch dezent zu wirken.
„Wie wär’s, Rose“, sagte sie, „wenn wir noch ein paar Blüten an den Ausschnitt steckten? Diese Robe ist nur geliehen, und ich fühle mich nicht recht wohl darin.“
Wieder lächelte Rose verständnisvoll. „Das machen wir schon, Miß. Keine Sorge.“
Mit einer Sicherheitsnadel steckte sie den Ausschnitt an der Stelle, die den Busenansatz freigab, zusammen und befestigte drei der sternenförmigen Orchideenblüten darüber.
„Das sieht hübsch aus!“ stellte Minella erfreut fest. „Vielen Dank für Ihre Hilfe!“
In diesem Augenblick klopfte es, und Gertie schaute herein.
„Bist du fertig?“ fragte sie. „Connie hat mich beauftragt, dich abzuholen. Sie ist schon nach unten gegangen, um dem Hausherrn möglichst schonend beizubringen, daß wir einen anderen weiblichen Gast als den von ihm erwarteten mitgebracht haben.“
„Hoffentlich ist er nicht zu ungehalten“, sagte Minella unbehaglich.
Sie erhob sich und hatte gerade noch genügend Zeit, um sich in dem warmen Wasser, das Rose ihr in die Waschschüssel geschüttet hatte, die Hände zu waschen, dann mußte sie sich beeilen, Gertie, die vorausgegangen war, auf dem Korridor einzuholen.
„Weißt du“, sagte Gertie auf dem Weg zur Treppe, „mir ist dieser Palast ein paar Nummern zu groß. Wenn ich hier wohnen müßte, käme ich mir winzig vor wie eine Stubenfliege.“
Minella lachte, denn ihr erging es nicht viel anders. Sie war ebenfalls von der Geräumigkeit des Schlosses beeindruckt, auf die sie jedoch mehr oder minder vorbereitet gewesen war. Ihr Vater hatte ihr oft genug die Pracht des Blenheim-Palastes geschildert, wo er als Gast des Herzogs von Marlborough geweilt hatte, oder die Schönheit von Chatsworth oder anderer prächtiger Stammsitze wie Woburn Abbey und Schloß Arundel.
Nach allem, was man sich über den Grafen erzählte, wäre sie vielleicht sogar enttäuscht gewesen, hätte ihr sein Schloß nicht so etwas wie ehrfürchtige Scheu eingeflößt. Die Ritterrüstungen in der Empfangshalle und die Fahnen, die von den Ahnen des Grafen auf dem Schlachtfeld erbeutet worden waren, gehörten da einfach dazu.
Am Fuße der Treppe nahm der Butler sie in Empfang. „Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Miß“, sagte er zu Gertie. „Seine Lordschaft ist im französischen Salon.“
Gertie zwinkerte Minella zu und flüsterte ihr ins Ohr: „Klingt doch viel beeindruckender als die gute Stube, oder?“
Minella lachte, konnte aber ihre Nervosität wegen der bevorstehenden Begegnung mit dem Schloßherrn nicht ganz unterdrücken.
Der Butler führte sie zu einer Doppeltür, die zwei Lakaien für sie öffneten, um sie in einen der prächtigsten und eindrucksvollsten Räume eintreten zu lassen, die Minella je gesehen hatte. In den Gängen und in der Halle brannte Gaslicht, im französischen Salon hingegen sorgten zwei riesige mit Kerzen bestückte Kristallüster für warmes Licht.
Im Hintergrund des Salons hielten sich Connie, Nellie, Beryl und die vier Herren auf, die mit ihnen gekommen waren; ein fünfter wandte sich um und kam auf sie zu.
Er war unverkennbar jeder Zoll ein Aristokrat, hochgewachsen, breitschultrig und, wie Connie sehr richtig festgestellt hatte, ungemein attraktiv.
Mit einem einzigen Blick erkannte Minella, daß auch die übrige Beschreibung zutraf. Er wirkte zynisch und blasiert, und das Lächeln, mit dem er Gertie begrüßte, war ohne Wärme.
„Ich bin entzückt, Sie wiederzusehen, Gertie“, sagte er. „Sie sind
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