Geliebte zweier Welten: Roman (German Edition)
Gänsehaut. Sie glaubte, sich an diesen Ort zu erinnern. Doch das war unmöglich, denn sie war noch nie zuvor hier gewesen, niemals. Es roch nach feuchtem Gras, nach Sommer und nach Süßigkeiten, nach Zuckerwatte. Rechter Hand schlängelte sich ein Fluss unter einer Brücke hindurch.
Ihr Herz blieb stehen. Eine Brücke.
Ihre Hände waren schweißnass, und sie musste sich nach vorn beugen und sich auf den Knien abstützen, um wieder Luft zu bekommen. Jetzt war kein guter Moment für eine Panikattacke.
Menschen gingen an ihr vorbei, als wäre ein ganz normaler Tag. Doch dieser Tag war kein normaler Tag. Und sie wusste das nur zu gut. Eine Gruppe psychopathischer Vampire hatte ihn ihr weggenommen, und sie hatte einen Traum gehabt, in dem sie sich an das Leben eines Paares mit seiner Tochter erinnerte. Außerdem hatte sie ihren Vater verloren und zu allem Überfluss auch ihre Jungfräulichkeit. Nun war es ihr nicht mehr so wichtig, dass sie sie verloren hatte, nur noch auf welche Art und Weise es geschehen war. Sie musste aufhören, daran zu denken, und sich auf ihren Traum konzentrieren.
Der Ort. Die Personen. Die Brücke.
Sie verließ den Weg und ließ sich ins Gras fallen. Marienkäfer schwirrten über die Wiese, und Schmetterlinge flatterten am Fluss entlang. Sie setzte sich auf ihren Po und umfasste ihre Beine.
Alle Sinne sagten ihr, dass sie zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war. Dass irgendjemand vor langer Zeit ein Geschenk unter dieser Brücke versteckt hatte, in einem magischen Stein. Keine sehr große Brücke, aber versehen mit einem ganz besonderen Zauber.
Ein Bild erschien vor Eileens geistigem Auge. Sie in den Armen des Mannes und der Frau. Nachts, im Hochsommer. Am Tag ihres Geburtstages. Ein Ziegelstein unter der Brücke und etwas, das sie dort hineinlegten. Dann verschlossen sie die Öffnung wieder mit dem Ziegelstein.
Sie schüttelte den Kopf und hielt ihn zitternd fest.
Sie war krank. Eine andere Erklärung gab es nicht. Diese Vision musste eine Halluzination sein.
Nein. Es war keine Halluzination. Verdammt, Eileen, wach auf … Der schönste und ruchloseste Mann, der ihr je im Leben begegnet war, hatte sie gebissen. Er hatte seine Eckzähne in sie gebohrt. Sie war durch unterirdische Gänge gegangen und hatte weitere Vanir kennengelernt. Sie hatte von einem anderen Leben geträumt, dem sie bestenfalls und ohne es wirklich zu verstehen irgendwann angehört hatte. Was war mit ihren Erinnerungen, bevor sie fünf Jahre alt war? Wo waren sie?
Das Mädchen in ihrem Traum hieß Aileen. Mit einem A, nicht mit E, dennoch waren ihre Namen fast identisch.
Caleb hatte recht gehabt. Ihr Diabetes war völlig unter Kontrolle, sie hatte niemals ein Problem damit gehabt. Wann hatte man ihn bei ihr diagnostiziert? Mit sieben Jahren. Was war geschehen? Erinnerte sie sich daran, sich schlecht gefühlt zu haben oder ohnmächtig geworden zu sein, bevor man Diabetes bei ihr feststellte? Nein. Faktisch erinnerte sie sich an gar nichts davor.
Caleb hatte recht gehabt. Wenn Víctor ihr eine Spritze verpasste, dauerte es keine zehn Minuten und sie fiel bis zum darauffolgenden Tag in Besinnungslosigkeit. Seit dem Diabetes hatte sie aufgehört zu träumen. Bedeutete das, dass sie zuvor träumte?
Wie auch immer, sie war noch am Leben und hatte die Möglichkeit herauszufinden, ob dieser Traum die Vision eines Lebens war, das in ihrer bruchstückhaften Erinnerung verloren ging oder nicht.
Die Sonne schien, doch solange es hell war, konnte sie nicht unter die Brücke kriechen. Die Parkaufseher würden auf sie aufmerksam werden. Sie würde warten, bis fast keiner mehr da war, auch wenn sie so riskierte, dass die Dunkelheit einbrach und diese Caleb und seinen Klan mit sich brachte.
Sie streckte sich aus, und ohne es zu wollen oder es für möglich zu halten, entspannte sie sich.
Um Mitternacht würde sie zweiundzwanzig Jahre alt werden. Sie wäre nicht mehr dieselbe Eileen. Wie sollte das auch möglich sein?
Sie dachte an ihre Zukunftspläne: das Ausbildungsprojekt für Pädagogen in London, an den Wunsch, der Gesellschaft durch neue Erziehungsmethoden helfen zu können. Diesen Traum würde sie nicht verfolgen können.
Mit Mühe und Not konnte sie sich gerade ihren Verstand bewahren, wie sollte sie da jemandem etwas beibringen? Diese Leute hatten ihr alles weggenommen, aber sie würde nicht tatenlos zusehen.
Zunächst würde sie versuchen herauszufinden, was mit ihr los war und warum sie von diesen fremden
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