Geliebter Barbar
stöhnte voller Widerwillen auf. Das Bild von Iain, der eine andere Frau küßte, verursachte ihr ein häßliches Ziehen im Herzen. Lieber Gott, hilf, mir, ich benehme mich wie eine verliebte Gans, dachte sie. Dann schüttelte sie den Kopf. Sie war viel zu klug, um sich das Herz brechen zu lassen. So naiv konnte sie doch nicht sein, oder?
Plötzlich brach sie in Tränen aus. Herzzerreißende Schluchzer schüttelten sie, und sie konnte nicht mehr aufhören. Es war Frances Catherines Schuld. Sie hatte so lange gebohrt und gestichelt, bis Judith nichts mehr anderes übrig geblieben war, als vor sich selbst die Wahrheit einzugestehen!
Judith verließ den Pfad aus Angst, jemand könnte vorbeikommen und ihre elende Verfassung sehen. Hinter einer mächtigen Kiefer wollte sie Schutz suchen.
»Gütiger Himmel, Judith! Was ist passiert?«
Patricks Stimme ließ sie aufstöhnen. Sie wich einen Schritt zurück, doch er folgte ihr. »Hast du dich verletzt?« fragte er mit echter Sorge in der Stimme.
Sie schüttelte den Kopf. »Du hättest mich nicht sehen sollen«, flüsterte sie. Sie wischte sich das Gesicht mit dem Handrücken ab und atmete ein paarmal tief ein, um sich zu beruhigen.
»Ich habe dich nicht gesehen«, erklärte Patrick. »Ich habe dich gehört!«
»Es tut mir leid«, wisperte sie.
»Was tut dir leid?«
»Daß ich so laut war«, antwortete sie. »Ich wollte nur einen Moment allein sein, aber das ist hier wohl unmöglich, nicht wahr?«
Sie klang so entsetzlich elend! Er mußte sie trösten. Sie war die beste Freundin seiner Frau, und er empfand es als Pflicht, sie wieder aufzubauen. Und so legte er ihr den Arm um die Schulter und führte sie auf den Weg zurück.
»Sag mir, was los ist, Judith. Egal, wie schlimm dein Problem ist, ich kann es bestimmt irgendwie hinbiegen.«
Es war reichlich vermessen von ihm, aber Judith entschuldigte das mit der Tatsache, daß er Iains Bruder war. Wahrscheinlich färbte dessen Arroganz ab.
»Das kannst du nicht«, sagte sie. »Trotzdem danke für das Angebot.«
»Du weißt nicht, was ich bewirken kann, bevor du mir nicht erzählt hast, um was es geht.«
»Also gut«, seufzte sie. »Ich habe gerade eben festgestellt, wie naiv ich bin. Kannst du das wieder hinbiegen?«
Sein Lächeln war sehr weich. »Du bist nicht naiv, Judith.«
»O doch, und wie«, schrie sie plötzlich. »Ich hätte mich besser schützen müssen!« Sie unterbrach sich.
»Judith?«
»Laß es gut sein. Ich möchte nicht darüber reden.«
»Du solltest wirklich nicht weinen. Nicht ausgerechnet heute«, sagte Patrick.
Sie tupfte wieder Tränen aus den Augenwinkeln. »Ja, es, ist ein wunderschöner Tag, und ich sollte nicht weinen.« Sie holte erneut tief Atem. »Du kannst mich jetzt loslassen. Ich habe mich wieder erholt!«
Er nahm seinen Arm von ihrer Schulter und ging an ihrer Seite den Hügel hinauf und schließlich über den Vorplatz. Patrick hatte noch etwas zu erledigen, bevor er eintrat, und so verbeugte er sich kurz vor Judith und wandte sich dann ab.
»Seh’ ich sehr verheult aus?« fragte sie ihn besorgt.
»Nein«, log er.
Sie lächelte. »Danke, daß du mir geholfen hast, das durchzustehen.«
»Aber ich hab doch nicht …« Er sparte sich jedes weitere Wort, als sie sich umwandte und die Stufen zur Festung hinaufrannte. Seufzend schüttelte er den Kopf und machte sich wieder an den Abstieg.
Judith klopfte nicht an. Sie holte tief Atem, dann schob sie die schwere Tür auf und trat schnell ein.
Das Innere der Festung sah so scheußlich aus wie das Äußere. Der Eingang war mit grauen Steinen gepflastert, und zu ihrer Rechten an der Mauer entlang befand sich eine mächtige Treppe. Die Große Halle lag zu ihrer Linken. Sie hatte enorme Ausmaße und war zugig wie ein offener Platz. Eine steinerne Feuerstelle nahm einen guten Teil der vom Eingang gegenüberliegenden Mauer ein. Ein Feuer brannte, doch es wärmte nicht, sondern verbreitete mehr Rauch als Hitze.
Es gab keinerlei Gerüche, die an ein Heim erinnerten, wie der Duft von gebackenem Brot oder von brutzelndem Fleisch. Es gab auch nichts, was nach persönlichen Besitztümern aussah, die darauf schließen ließen, daß hier jemand lebte. Der Saal war so karg wie ein Kloster.
Fünf Stufen führten in den Saal hinunter. Judith wartete oben darauf, daß Iain sie bemerkte. Er saß mit dem Rücken zu ihr am Kopf eines langen, schmalen Tisches. Fünf ältere Männer, von denen Judith annahm, daß sie zum Rat gehörten, drängelten sich
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