Geliebter Feind
ihn gebeten, doch nicht ihr Gewand zu ruinieren. Er sah jedoch so grimmig aus, daß sie es lieber sein ließ.
„Herr", protestierte sie matt, „mir ist nichts geschehen. Wirklich nicht. Ihr braucht nicht. . . "
Er hörte überhaupt nicht zu. Die Klinge glitt unter den Hals-ausschnitt, und dann konnte Kathryn auch nichts mehr sagen, denn zu ihrem Erschrecken hörte sie das Geräusch zerreißenden Stoffs. Ein zweiter Schnitt, und der Träger ihres leinenen Unterhemds war ebenfalls durchtrennt. Ungeduldig schob Guy den Stoff zur Seite und entblößte ihre Schulter bis hinunter zum Brustansatz.
Entsetzt starrte Kathryn auf einen der weiß schimmernden Hügel. Der Anblick ihres eigenen Fleisches war ihr über die Maßen peinlich, und die Verlegenheit trieb ihr das heiße Blut in die Wangen. Sie wagte nicht, sich zu bewegen oder auch nur Luft zu holen aus Angst, sie könnte sich dann noch weiter entblößen.
Guy bemerkte das alles kaum. Sein besorgter Blick war auf die Stelle gerichtet, die der Huf seines schweren Rosses ge-streift hatte. Blutergüsse verfärbten bereits die weiße Haut.
Aus langen Schrammen, die sich bis zum Schlüsselbein zogen, trat hellrotes Blut. So weiches, wunderschönes Fleisch auf diese häßliche Weise verunstaltet zu sehen, schlug ihm buchstäblich auf den Magen.
Vorsichtig tastete er die Schulter ab, um festzustellen, ob möglicherweise noch unsichtbare Verletzungen vorlagen.
Sanft ließ er die Fingerspitzen über die Haut gleiten, drückte auf die zarten Knochen unter den geschundenen Stellen und beobachtete dabei genau Kathryns Reaktion.
Er fluchte leise vor sich hin. Ihr Schmerzen zufügen zu müssen, quälte ihn beinahe ebensosehr wie sie, doch noch während dieses Gedankenganges fragte er sich, weshalb das so war.
Zähneknirschend machte er weiter. Im nächsten Augenblick zuckte Kathryn zusammen, gab indessen keinen Laut von sich.
„Verdammt! Tut mir leid, Mädchen. Ich weiß, das schmerzt höllisch, nur will ich Euch ja nicht absichtlich weh tun. Es tut mir furchtbar leid, wirklich. Einen kleinen Moment noch . . .
es ist gleich vorbei."
Seine Stimme enthielt soviel unerwartete Zärtlichkeit, daß Kathryn ihm nur verwirrt ins Gesicht schauen konnte. Seine Brauen waren zusammengezogen, und seinen Mund, den sie immer mit „grausam" beschrieben hatte, fand sie jetzt zwar ein wenig streng, wenn auch ausnehmend schön. Die Augen des Earls erschienen kristallklar wie das Wasser des Wald-bachs, und die ...
Weshalb stelle ich alle diese Einzelheiten fest? fragte sie sich. Ein kleines Zittern durchlief ihren Körper. Wie konnte dieser Mensch nur solche Auswirkungen auf sie haben - ein Mann, den sie aus tiefstem Herzen haßte? Ihr ganzes Leben lang war sie von Männern umgeben gewesen, und er war doch ein Mann wie alle anderen auch.
Eben nicht, widersprach eine kleine Stimme in ihrem Inneren. Guy de Marche ist kein Mann wie alle anderen, denn er hat dich geküßt.
Roderick hat mich auch geküßt, dachte Kathryn, nur bei ihm habe ich nicht dasselbe empfunden . . .
Guy fühlte ihr Zittern unter seinen Händen. „Nun, nun", sagte er beschwichtigend. „Ich bin ja schon fertig. Gebrochen scheint nichts zu sein. Diese Beulen und Schrammen werden Euch allerdings noch einige Tage erhalten bleiben." Er lehnte sich zurück und blickte ihr bekümmert ins Gesicht, das weiß wie die Wand war.
Kathryn fühlte seinen Blick genauso körperlich wie noch eben seine Finger an ihrer Schulter. Verlegen deckte sie die Hand über ihre entblößte Brust. Sie wollte ein wenig lächeln, doch ihre Lippen gehorchten ihr nicht recht. „Es war nicht allzu schlimm", behauptete sie tapfer. „Und wie ich Euch schon sagte, Herr, ist mir nichts geschehen."
„Überhaupt nichts, nein?" Er schüttelte den Kopf. „Meine Liebe, Ihr hattet mehr Glück, als Ihr Euch vorstellen könnt.
Mein Hengst hätte Eure zarten Knochen wie Mus zerstampfen können." Schon bei dem Gedanken an so etwas brach ihm der kalte Schweiß aus.
Jemand klopfte an die Tür. Der Earl ging hin und öffnete. Es war Gerda. Kathryn konnte nicht hören, was die beiden miteinander sprachen. Als er zu ihr zurückkehrte, trug er eine kleine Wasserschüssel in den Händen. Er zog sich eine Bank heran, stellte die Schüssel darauf ab und setzte sich dann wieder auf das Bett.
„Wie geht es Peter?" erkundigte sich Kathryn angstvoll. „Er ist doch nicht etwa verletzt?"
„Peter geht es gut", antwortete er kurz und neigte dann den Kopf zur Seite.
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