Geliebter Feind
fühlte den sanften Druck seiner Lippen. Dennoch war diese Berührung eher lockend, verlockend.
Im geistigen Duell, in Wortgefechten waren sie einander ebenbürtig. In einer Situation wie dieser hier fehlte Kathryn jedoch die Erfahrung.
Entgegen aller Vernunft sehnte sie sich danach, sich ihm zu ergeben, abzuwarten, wohin dieser zärtliche Kuß noch führen würde, und alles andere zu vergessen. Dabei wußte sie ganz genau, daß der Earl sie keineswegs zur Liebe verführen wollte; er suchte nur nach neuen Wegen, seine Herrschaft über sie auszu-
üben. Also wappnete sie sich gegen seinen Angriff und hielt die Lippen fest verschlossen.
Guy beschloß seine Taktik zu ändern. Er hob den Kopf und blickte auf Kathryn hinab. „Was, hat Euch Euer Roderick das Küssen nicht gelehrt?" fragte er mit leisem Spott. Er zupfte an ihrer Unterlippe. „Öffnet den Mund", flüsterte er.
Ihr blieb nichts weiter übrig, als ihm zu gehorchen. Sofort drang er tief mit der Zunge in ihren Mund ein und vollführte mit ihr einen Angriff, der Kathryn die Sinne raubte. Der Earl umschlang sie mit kräftigen Armen und zog sie noch fester zu sich heran, so daß sie alle Einzelheiten seines starken Körpers fühlen mußte.
Sie begann zu zittern, als hätte ein heftiges Fieber sie befal-len. Sie stöhnte auf, leise und gequält, wenn auch keineswegs unwillig. Ihr war es, als hätte eine fremde Macht ihren Körper übernommen . . . als ob der Earl dieses getan hätte. Vergeblich versuchte sie, sich ihm zu entwinden, doch das ließ er nicht zu.
Immer wieder küßte er sie, tiefer und tiefer, bis sie völlig benommen und atemlos war.
Die Tatsache, daß Kathryn sich ihm so hingab, war für Guy so berauschend wie süßer Wein. Sein Herz pochte wie in wildestem Gefecht. Das Blut strömte heiß durch seine Adern, und sein Verlangen verursachte ihm körperlichen Schmerz.
Und alles nur von einem Kuß! dachte er. Er war doch kein junges Bürschchen mehr, das es schon bei dem bloßen Gedanken an einen Sprung ins Heu zwischen den Beinen drängte! Er war schließlich ein Mann, der seine Leidenschaft zu beherrschen und aus der Beschränkung höchste Freuden zu gewinnen verstand. Weshalb also hatte er bei Kathryn das Gefühl, als wäre ein Waldbrand in seinem Herzen ausgebrochen?
Noch niemals hatte er eine Frau dermaßen gehaßt wie sie, und noch niemals hatte er eine dermaßen begehrt wie sie. Er wollte sie jedoch nicht begehren, denn er durfte und konnte nicht vergessen, daß in ihren Adern das Blut des Richard of Ashbury floß.
Guy hob den Kopf und ließ sie los. Er blickte auf sie hinab und sah sie langsam und benommen die Lider aufschlagen. „Ihr müßt das Küssen noch besser lernen, Kathryn. Möglicherweise bin ich dann beim nächstenmal geneigt, Euch Euren Wunsch zu gewähren."
Es dauerte eine Weile, bis sie seine kalten Worte erfaßte. Sein arrogantes Lächeln schaffte es wieder einmal, ihre Empörung zu erregen. Trotzdem war Kathryn nicht gleich in der Lage, dem zu unvermittelten Umschwung zu folgen.
Als ihr endlich bewußt wurde, daß sie soeben zutiefst gedemütigt und zurückgewiesen worden war, fühlte sie sich schmutzig und hätte vor Scham in den Boden sinken mögen - nicht weil Guy de Marche sie geküßt hatte, sondern weil sie sich ge-wünscht hatte, der Kuß möge nie enden.
„Mit jeder Faser meines Herzens bete ich darum, von Euch befreit zu sein, Herr." Haßerfüllt starrte sie ihn an. „Doch so verzweifelt kann ich gar nicht sein, als daß ich noch einmal freiwillig Eure Berührung ertrüge."
Sie drehte sich um und floh aus dem Amtsraum. Das Gelächter des Earls folgte ihr. Eines Tages wird er dafür bezahlen müssen, schwor sie sich in ihrer Wut. Sie wußte noch nicht, wann es soweit sein würde und womit er bezahlen sollte, doch eines Tages würde er bezahlen, und zwar einen hohen Preis!
8. KAPITEL
An diesem Abend nahm Kathryn das Nachtmahl in ihrem Gemach ein. Halb und halb erwartete sie, der Earl würde auf ihrer Anwesenheit am Herrentisch bestehen, doch das tat er nicht. Er war auch am nächsten Nachmittag nirgends in Sicht, als sie und Gerda mit Peter auf dem Weg zum Bach durch den Burghof kamen.
Gerda war entsetzt, als Kathryn darauf bestand, das Mädchen und der kleine Junge sollten auf Esmeralda reiten. „Lady Kathryn, es ist doch nicht recht, daß Ihr zu Fuß geht, während ich reite." Die junge Magd merkte allerdings sehr rasch, daß jede Diskussion mit der Herrin aussichtslos war.
Später beim Heimkommen
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