Geliebter Feind
wieder einmal, wie zwei Schwestern derartig unterschiedlich sein konnten. Kathryn war so dunkelhaarig, wie Elizabeth goldblond war. Kathryn war entschlossen und unerschrocken, während Elizabeth ängstlich im Frauengemach hockte.
„Wäre ich doch mehr wie du", sagte Elizabeth traurig. „Wäre ich doch so stark und tapfer wie du! Ich kann nichts anderes, als mich hier in diesem Gemach zu verstecken wie ein Kind, das sich im Dunkeln fürchtet."
Kathryn drückte es fast das Herz ab. Ihre Schwester hatte mit ansehen müssen, wie ihre Mutter zuerst vergewaltigt und dann getötet wurde. Das hatte in ihr eine Wunde geschlagen, die nie wieder verheilt war.
Richard nannte Elizabeths Angst vor Männern unvernünftig und übertrieben, doch Kathryn verstand sie. In zahllosen Nächten hatte sie ihre zitternde, von schrecklichen Träumen gepei-nigte Schwester in den Armen gehalten, und für Elizabeth hatte dieser Alptraum niemals wirklich aufgehört.
Kathryn legte ihr einen Finger an die bebenden Lippen.
„Still", sagte sie sanft. „Du bist so gut, lieb und freundlich. Ich würde dich gar nicht anders haben wollen."
Die beiden umarmten einander fest, doch Elizabeth war noch immer nicht besänftigt. „Daß du Roderick heiraten willst, ge-fällt mir trotzdem nicht. Und wie kommst du überhaupt darauf, daß unser Onkel es dir erlauben wird? Er will uns doch unter seinem Daumen behalten."
„Onkel Richard glaubt, er beherrscht Roderick", bemerkte Kathryn. „Durch Roderick wird er seiner Meinung nach dop-pelte Macht über mich ausüben. Sollte er mir indessen tatsächlich sein Einverständnis verweigern, werde ich ihm sagen, ich sei schwanger."
„Schwanger!" rief Elizabeth entsetzt, und ihr Blick ging über die schlanke Gestalt ihrer Schwester.
„Ich bin es ja nicht." Kathryn lachte. „Ich bin ebenso unberührt wie du." Was zwischen Mann und Frau vor sich ging, wuß-
ten sie beide, ganz besonders die arme Elizabeth. Doch auch Kathryn zweifelte nicht daran, daß der Akt etwas Schmutziges, Abscheuliches war. Er war nur eine der vielen Methoden, mit denen Männer die Frauen unterjochen wollten.
„Richard besitzt Ashbury und hat sich auch andere Ländereien unrechtmäßig angeeignet. Er glaubt, mit dem Besitz auch an Ansehen und Ehre gewonnen zu haben. Würde seine Nichte jetzt einen Bastard zur Welt bringen, wäre das für ihn eine Schande, auf die er es nicht ankommen lassen kann. Er will keine weiteren Schmutzflecken auf seinem Namen."
„Und wenn Onkel Richard nun entdeckt, daß du überhaupt nicht schwanger bist?"
„Dann wird es zu spät sein, weil zu diesem Zeitpunkt die Vermählung längst stattgefunden hat."
Elizabeth schaute ihrer Schwester nach, die jetzt das Frauengemach verließ. Sie mußte an ihren Vater denken, der auf Leben und Tod gekämpft hatte, statt Ashbury einer Horde plündern-der Angreifer zu überlassen. Er war bei dem Gefecht schwer verwundet worden, hatte jedoch gesiegt. Zwei Wochen später war er an Wundbrand gestorben.
„Kathryn, ich fürchte, du bist zu sehr wie unser Vater", flü-
sterte sie. „Du magst möglicherweise Erfolg haben und Ashbury für dich zurückgewinnen. Doch welchen Preis mußt du dafür bezahlen?"
Am späten Nachmittag schlüpfte Kathryn aus den Mauern der Burg. Den nebeligen Nieselregen beachtete sie nicht weiter; sie wickelte sich nur fester in ihren dünnen Wollumhang und zog sich die Kapuze über das geflochtene, zu einem Krönchen aufgesteckte Haar.
Sie schaute sich um. Zu ihrer Rechten lagen fette Schafe im Gras, und zu ihrer Linken brandeten die Wogen der See ans Ufer. Sie liebte Cornwall mit seiner Wildheit und seinen Ge-heimnissen. Einen Augenblick hielt sie noch inne, und dann eilte sie weiter.
In dem verborgenen Hain, wo sie Roderick treffen sollte, blieb sie stehen. Das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden, beschlich sie, und dann trat eine große Gestalt zwischen den Bäumen hervor.
„Roderick!" Sie schlug ihre Kapuze zurück und streckte ihm erleichtert die Hände entgegen. Roderick ergriff sie und schaute dann zu Kathryn hinunter. Sein anerkennender Blick entging ihr nicht.
Ja, ich habe eine gute Wahl getroffen, dachte sie. Roderick war stark, klug und vor allem ehrgeizig. Sein Ehrgeiz sollte ihr helfen, Ashbury zurückzugewinnen. Daß der Mann außerdem einen angenehmen Anblick bot, war eine erfreuliche Zugabe.
Mit seinem dunkelblonden Haar, seiner imposanten Statur und den bernsteinfarbenen Augen erinnerte er sie an den
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