Geliebter Freibeuter
sie presste beide Hände auf die Brust. Sie wusste, sie hätte sich sofort wieder leise davonschleichen müssen, aber sie konnte ihren Blick von diesem Körper, der sie an eine griechische Statue erinnerte, nicht lösen. Eloise hatte nie zuvor einen völlig unbekleideten Mann gesehen. In ihrer Heimat bekam man öfter Fischer zu Gesicht, die mit nacktem Oberkörper am Strand saßen und die Netze flickten, aber ein Mann ohne Hosen … Eloise fühlte, wie Hitze in ihre Wangen stieg, denn der Anblick war alles andere als unangenehm. Im Gegenteil, sie hätte dem Muskelspiel des wohlgeformten Körpers noch stundenlang zusehen können, aber leider griff der Mann jetzt zueinem Handtuch, trocknete sich ab und schlüpfte dann in seine Hose. Dabei drehte er sich für einen Moment zur Seite, so dass Eloise nun auch einen Blick auf seine nicht minder gut gebaute Vorderseite erhaschen konnte und einen keuchenden Laut ausstieß. Sofort verharrte der Mann in der Bewegung.
»Wer da?«
Eloise wollte sich rasch zurückziehen, dabei achtete sie nicht darauf, wo sie hintrat, und ihr Fuß verfing sich in einem Tau. Polternd stürzte sie nach hinten und schlug unsanft aufs Deck. Während sie sich wieder aufrappelte, beobachtete sie, wie der Mann nach etwas griff und es sich vor das Gesicht band. Dark Flynn! Ein zweites Keuchen entrang sich Eloises Kehle. Dieser Mann war der verhasste Captain! Der Mörder Ryans und ihr Entführer!
Eloise war noch nicht wieder auf den Füßen, als die große Gestalt des Freibeuters direkt vor ihr stand. Beide Augen und die rechte Gesichtshälfte waren von einer schwarzen Maske bedeckt, die jedoch die Mundpartie freiließ. So konnte Eloise erkennen, wie sich die Lippen des Piraten kräuselten und er dann in lautes Gelächter ausbrach.
»Oh, Mylady, was sucht Ihr denn am Boden? Wollt Ihr etwa der Mannschaft helfen, das Deck zu schrubben? Das ist sehr freundlich, aber es muss doch nicht mitten in der Nacht sein.«
Seine Stimme war tief und wohlklingend, aber auch voller Spott. Er machte keine Anstalten, Eloise beim Aufstehen zu helfen, darum rappelte sie sich zähneknirschend auf und funkelte ihn wütend an. Die erste Begegnung mit Dark Flynn hatte sie sich anders vorgestellt.
»Endlich bekomme ich unseren unfreiwilligen Gastgeberzu Gesicht.« Das war das Einzige, was ihr im Moment einfiel.
Dark Flynn trat einen Schritt zurück und stemmte beide Hände in die Seiten. Sein Oberkörper war immer noch nackt, und Eloise erkannte eine lange, wulstige Narbe, die sich vom linken Schlüsselbein bis zum unteren Rippenbogen zog.
»Zu Gesicht … ist gut, Mylady.« Er lachte laut auf. »Ich nehme mal an, Ihr habt mich schon länger beobachtet und habt zuerst etwas ganz anderes als mein Gesicht gesehen. Nicht wahr? Ich hoffe, der Anblick hat Euch gefallen?«
Scharf zog Eloise die Luft ein, und die Schamesröte darüber, dass er wusste, dass sie ihn beim Waschen beobachtet hatte, schoss in ihr Gesicht. Sie hoffte, Dark Flynn würde es im Mondlicht nicht bemerken. All die Worte, die sie dem Mörder Ryans entgegenschleudern wollte, waren ihr entfallen, denn sie hätte niemals damit gerechnet, dass der berühmt-berüchtigte Pirat, der Schrecken der Weltmeere, noch so jung war.
»Es ist sehr unfreundlich, mit einer Dame zu sprechen und dabei sein Gesicht zu verbergen.« Herausfordernd verschränkte sie die Arme vor der Brust und reckte das Kinn vor.
Dark Flynn zuckte bedauernd mit den Schultern.
»Glaubt mir, Lady, es ist besser für Euch, wenn mein Antlitz Euch verborgen bleibt. Es ist kein Anblick für das zarte Gemüt einer Dame.«
»Pah! Ich freue mich, dass man Euch das Gesicht zerschnitten hat«, gab Eloise wütend zurück. »Nur schade, dass man nicht gleich Euren ganzen Kopf zerhackt hat.«
»Oh, oh, was für harte Worte aus so einem schönen Mund.« Seine Stimme triefte vor Hohn, und Eloise ärgerte sich, dass sie für einen Moment Freude empfand, als derCaptain ihren Mund als schön bezeichnete. »Cubert, mein Freund und meine rechte Hand, berichtete mir bereits, dass Ihr eine rechte Xanthippe seid.«
»Und Ihr seid wohl der einzige Pirat, der sich mit griechischer Mythologie beschäftigt«, gab Eloise schnippisch zurück. »Warum hat es ein Mann mit Bildung nötig, andere Menschen zu überfallen, auszurauben und zu töten?«
Er gab darauf keine Antwort, sondern fragte stattdessen: »Sagt, Mylady, seid Ihr eigentlich zum ersten Mal in der Gewalt von Freibeutern?«
»Natürlich!« Eloise wusste nicht,
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