Geliebter Fremder
ihm und sie zögerten nicht, ihn mit Fragen zu überhäufen und wie die Mücken zu umschwirren.
»Gefällt es dir?«, fragte Lara, obwohl sie die Antwort bereits kannte.
Sein dünnes Lächeln blieb auf seinem Gesicht. »Ungeheuer. Wohin ich auch blicke, sind Scharen von Idioten.«
»Trink etwas Champagner«, riet Lara ihm. Das Gefühl, das sie auf einmal überkam, gefiel ihr nicht, eine Art von Kameradschaft, als ob sie beide eine Art von Verständnis füreinander hätten, das den Rest der Welt ausschloss.
»Das macht alles etwas leichter.« Sie wies auf ihr Glas. »Das hoffe ich zumindest.«
»Ich mag keinen Champagner.«
»Dann trink Punsch.«
»Ich würde lieber mit dir verschwinden.«
Ihre Blicke trafen sich und Lara hatte das Gefühl, dass sein neckender Kommentar sie schwindliger machte als der Champagner. Sie merkte, dass er jede Minute bis ein Uhr zählte, um sie endlich in den Armen halten zu können.
Instinktiv wollte sie sich am liebsten umdrehen und weglaufen … aber es gab keine Fluchtmöglichkeit. Sie holte tief Luft, doch das Gefühl der Bedrängnis blieb.
Sanft nahm Hunter ihr das Glas aus den Fingern und winkte einem Diener, der wie aus dem Nichts auftauchte.
»Noch eins?«, fragte er und Lara nickte steif.
Ihre behandschuhten Finger schlossen sich um den Stiel eines neuen Glases und sie trank es ebenso schnell aus wie das erste. Das Ergebnis war das gleiche. Die sprudelnde Flüssigkeit stieg ihr sofort zu Kopf und sie legte die Hand vor den Mund, um eine weitere Schluckaufattacke zu unterdrücken.
Hunters braune Augen blitzten vor Erheiterung. »Das wird nicht funktionieren, meine Liebe.«
»Was wird nicht funktionieren?«
»Du kannst dich bis zur Besinnungslosigkeit betrinken … aber ich werde trotzdem auf der Einhaltung unseres Handels bestehen.«
Sie blickte ihn außer sich vor Wut an. »Ich hatte nie so etwas vor. Ich trinke jedoch so viel Champagner, wie ich will. Schließlich kann ich mich nicht an ein einziges Mal erinnern, wo du nüchtern in mein Bett gekommen bist.«
Er wich ihrem Blick aus und presste die Lippen zusammen. »Das tut mir Leid«, sagte er mürrisch und blickte sich im Saal um, als fühle er sich auf einmal in ihrer Gegenwart unbehaglich. »Lara, ich …«
Etwas erregte seine Aufmerksamkeit und er brach mitten im Satz ab. Er wirkte nicht verwundert, sondern eher … aufmerksam … als ob er plötzlich ein schwieriges Rätsel lösen müsse. Lara folgte seinem Blick, und als sie merkte, wohin er blickte, zuckte sie zusammen.
Eine groß gewachsene Frau stand in der Tür. Man hätte sie eher attraktiv als schön genannt. Sie war schlank und sehnig, was wohl daher rührte, dass sie Freizeitaktivitäten wie der Jagd oder dem Bogenschießen nachging. Eine Frau für Männer. Ihre ausgeprägten, fast strengen Gesichtszüge wurden gemildert durch eine Flut kastanienbrauner Haare, hellbraune Augen und einen großzügigen Mund. Sie trug ein cremefarbenes Kleid, das wie bei einer griechischen Statue eine Schulter freiließ.
Lara war verwirrt, weil Hunter keine Wiedersehensfreude erkennen ließ. Er blickte sich im Saal um und nahm die neugierigen Blicke auf, die auf ihn gerichtet waren. Alle warteten auf seine Reaktion. Dann sah er wieder zu der Frau hin, die ihn ein wenig ängstlich anlächelte.
Plötzlich schien ihm bewusst zu werden, wer die Frau war, und er warf Lara einen wütenden Blick zu.
»Verdammt«, zischte er und eilte seiner Geliebten, Lady Carlysle, entgegen.
Lara spürte, dass alle Blicke auf ihr ruhten. Erregtes Gemurmel übertönte die Musik. Sie bemerkte kaum, dass ihre Schwester an ihre Seite trat.
»Es läuft alles nach Plan«, bemerkte Rachel, die sich bemühte, möglichst unbeteiligt dreinzublicken. »Versuch zu lächeln, Larissa – alle beobachten dich.«
Lara verzog gehorsam die Lippen zu einem Lächeln, aber ihr Mund fühlte sich steif und taub an.
»Warum machst du so ein seltsames Gesicht, Liebes?«, fragte Rachel leise. »Er ist zu ihr gegangen, genau so, wie du es geplant hast. Das wolltest du doch, oder?«
Ja, das hatte sie gewollt … aber wie sollte sie erklären, dass alles ganz schrecklich falsch schien? Wie sollte sie den grässlichen Augenblick erklären, als Hunter seine frühere Geliebte nicht wieder zu erkennen schien?
Wahrscheinlich hatte der unerwartete Anblick einen Schock bei ihm ausgelöst – und außerdem hatte er Lady Carlysle seit drei Jahren nicht gesehen. Deshalb hatte er wohl ein paar Sekunden
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