Geliebter Lord
starrte auf seine verschränkten Finger hinunter.
»Der Mann ist seit über einem Jahr tot. Ich finde es befremdlich, dass diese Geschichten erst jetzt bekannt werden«, bemerkte der Richter.
Charles setzte sich aufrecht hin. »Kommt die Wahrheit nicht immer irgendwann ans Licht, Sir John?«
»Es kann nicht schaden, Nachforschungen in dieser Sache anzustellen«, meinte der Sheriff. »Eine Frau darf nicht ungestraft mit einem Mord davonkommen – auch wenn sie offenbar Gewissensnöte plagen. Die Verbrecher, über die ich zu richten habe, sind zunehmend weiblichen Geschlechts, aber ich lasse mich auch nicht erweichen, wenn eine Frau um Milde fleht, weil sie schwanger ist, sondern setze eine ihrer Tat entsprechende Strafe fest.« Sir John wandte sich Charles zu. »Wie soll ich Inverness anders sauber halten?«
Er griff hinter sich und betätigte den Klingelzug. »Wo hält sie sich auf? Ich werde sie von meinen Männern festnehmen lassen.«
»Haltet Ihr das wirklich für notwendig?«
Der Richter bedachte ihn mit einem Stirnrunzeln. »Wenn sie einen Mord begangen hat, muss sie dafür bestraft werden. Da stimmt Ihr mir doch zu, oder?«
»Selbstverständlich.« Gordon erhob sich und deutete eine Verbeugung an. Es fiel ihm nicht leicht, seine Freude über die Entscheidung des Sheriffs zu verbergen. Mary würde in Schande nach Inverness zurückgebracht werden.
Und dann würde er ihr gestatten, ihr Schicksal zu wählen.
Kapitel 17
A ls Mary auf der Suche nach Hamish ins Freie trat und ihn im Burghof nicht entdecken konnte, dachte sie im ersten Moment, dass er beim Fischen wäre, doch ein kurzer Blick brachte sie davon ab. Im Schuppen stand nur eines der beiden Pferde. Also war Hamish, wie am Abend zuvor versprochen, auf die Jagd gegangen.
Die Vorräte neigten sich dem Ende zu, und wenn Hamish aus Inverness Nachschub holen müsste, hätte sie keinen Grund, noch hierzubleiben. Das Bedauern, das sie bei diesem Gedanken empfand, machte ihr deutlich, in welcher Gefahr sie sich befand. Je länger sie auf Castle Gloom verweilte, umso größer wäre ihr Kummer, wenn sie es verließ. Hamish aufzugeben würde ihr schwerer fallen als ursprünglich gedacht.
Liebe, tapfere Mrs. Gilly. Die Worte hallten durch ihren Kopf, erinnerten sie an das Mitleid, mit dem die Matronen von Inverness sie angesehen hatten. Sie war nicht die einzige Frau, die einen Mann fortgeschrittenen Alters geheiratet hatte, aber sie war behandelt worden, als wären die Umstände in ihrem Fall besondere. Und nachdem Gordon gestorben war, trafen sie, von Geflüster begleitet, die gleichen Blicke.
Was würden die wohlanständigen Matronen wohl jetzt über sie sagen? Mary konnte es sich lebhaft vorstellen. Nachdem sie Gordon verloren hatte, hatten ihr Freunde und Bekannte in ihrer Trauer beigestanden – aber
diese
Trauer würde niemand begreifen. Sie hörte förmlich ihre Worte.
Das geschieht ihr recht. Törichte Frau. Hat sie denn nicht die Folgen bedacht?
Mary hatte die Folgen durchaus bedacht, aber sie hatten keine Rolle für sie gespielt. Sie hatte sogar die Möglichkeit in Betracht gezogen, schwanger zu werden, und darum nach dem ersten, unerwarteten Zusammensein mit Hamish begonnnen, mit Essig getränkte Schwämme zu benutzen. Doch nichts war narrensicher. In einer Woche würde sie Gewissheit haben. Sollte sie kein Kind erwarten, würde sie Castle Gloom umgehend verlassen, wieder in die Rolle der frommen Witwe schlüpfen und sich glücklich schätzen, nicht für ihre Torheit bestraft worden zu sein.
Und wenn sie ein Kind erwartete? Eher unwahrscheinlich, nachdem sie in zehn Jahren Ehe nicht schwanger geworden war. Bis sie in einer Woche Aufschluss erhielte, würde sie sicherheitshalber nicht das Bett mit Hamish teilen. Kaum gefasst, entlockte dieser Vorsatz ihr ein hilfloses Lachen. Sie begehrte ihn sogar in diesem Moment.
Ohne Hamish wirkte das Castle leer, verlassen und unwirtlich. Je länger sie ihn kannte, umso faszinierter war sie von ihm. Alle Alarmglocken ihres Gewissens waren durch ein Gefühl zum Schweigen gebracht worden, das weit über Lust hinausging.
Mary hatte das Heim ihrer Eltern gegen das von Gordon getauscht, und im Laufe der Zeit hatte ihre Zuneigung für ihren Ehemann sich in Liebe verwandelt. Jedenfalls hatte sie das geglaubt. Aber das, was sie für Hamish empfand, damit zu vergleichen, war, als vergleiche man einen sonnigen Tag mit einem trüben.
Bleib bei mir.
Es war ein paar Tage her, dass Hamish sie wieder darum gebeten
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