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Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Titel: Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Ganzwohl
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– drei weiße Hochhäuser, sie stehen nicht direkt an der Straße, sondern nach hinten versetzt auf einer großen Grünfläche. Dieses Grundstück liegt hinter einer Kurve und einem Miniwäldchen, was erklärt, warum ich sie erst jetzt entdecke.
    Es sind keine beeindruckenden Bauten, ganz im Gegenteil, es ist die Sorte gesichtslose Wohnsiedlung, die ich für mich selbst komplett ausschließe, wenn ich mich auf Wohnungssuche begebe. Sie sind gar nicht mal besonders hässlich und trostlos, sondern einfach komplett nichtssagend. Alle Balkone haben die gleichen orangefarbenen Markisen, das Weiß der Hauswände ist nicht makel los, aber nur an sehr wenigen Stellen schwarzfleckig. Im Erdgeschoss haben Anwohner vor einem Balkon mit viel Liebe ein großes Beet angelegt – ich sehe Tulpen, Buschwindröschen, Krokusse, Rosmarin, Minze und Lavendel. In den niedrigen Bäumen hängen Nistkästen aus Birkenholz. Auf dem kleinen Spielplatz mit den roten und orangefarbenen Spielgeräten ist wegen des Regens kein einziges Kind zu sehen.
    Was habe ich erwartet? Eine verfallene, halb verlassene Plattenbausiedlung wie in der ostdeutschen Provinz? Ein heruntergekommenes, schimmeliges Hochhaus wie in manchen Berliner Problemvierteln? Gebrauchte Spritzen, Endzeitgraffiti und Ratten? Oder ein düsteres Spukschloss vor drohenden, dunklen Wolkengebirgen?
    Nein, natürlich nicht. Aber ich habe damit gerechnet, dass der Ort zu dem schrecklichen Ereignis passt, das ich mit ihm verbinde: Claus’ Selbstmordversuch nach dem Mord. Stattdessen erscheinen mir diese Gebäude noch nicht einmal besonders hoch; ich lege den Kopf in den Nacken, zähle zwölf, nein dreizehn Stockwerke.
    Reicht das zum Sterben?, schießt es mir durch den Kopf. Oder muss es noch höher sein, wenn man ganz sichergehen will? Ich sehe mich um, als wäre jemand in der Nähe, der meine Gedanken hören kann.
    Welches der Drillingshochhäuser ist das, das Claus damals ausgewählt hat? Ich entscheide mich für das nächstliegende. Um zur Haustür zu gelangen, muss man drei Stufen hochsteigen und einen Weg aus rötlichen Steinplatten entlanggehen. Kein Mensch, kein Tier weit und breit. Wie ist das nur möglich?, frage ich mich. Bei drei dreizehnstöckigen Häusern mit mehreren Wohnungen pro Stockwerk? Mir kommt es vor, als würde die Welt seit ein paar Minuten stillstehen. Nur ich bewege mich noch. Ich biege ums Eck, da vorn muss die Haustür sein. Klingeln oder nicht, klingeln oder nicht, klingeln oder nicht – ich muss keine Antwort auf diese Frage finden, die Glastür steht weit offen. Einfach so. Als würde dieses Hochhaus wollen, dass ich mir ansehe, wo Claus … Unsinn, was für ein unglaublicher Quatsch, denke ich. Ausgerechnet ich, die alles hasst und verlacht, was auch nur im Entferntesten nach Esoterik riecht, aussieht oder klingt, ausgerechnet ich habe nun solche Grütze im Kopf.
    Doch sosehr ich mich bemühe, ich kann nicht verhindern, dass es sich so anfühlt, als wäre all das kein Zufall, als würde mich jemand – führen. Elke?
    Ich reiße die Kapuze vom Kopf, lege den Kopf zurück und lasse den Regen auf mein Gesicht tropfen. »Na gut, Elke«, sage ich leise. »Ich komme mit.«
    Ich betrete den kleinen Flur, links führt eine Treppe nach oben, ein paar Schritte weiter sind die Aufzüge mit blauen Türen. Ich drücke auf den Knopf, warte, höre das »Pling«, das die Kabine ankündigt, steige ein, drücke auf den silbernen Knopf mit der Zahl dreizehn. War ja klar, dass es nicht zwölf, vierzehn oder fünfzehn Stockwerke sind, sondern ausgerechnet dreizehn.
    Im Aufzug ist es düster. Der Spiegel ist dunkel getönt, ich betrachte mich darin. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass Spiegel in Aufzügen die Vandalismus-Rate deutlich senken, weil jeder sofort an seinen Haaren oder Kleidern rumfummelt, anstatt Graffiti an die Wände zu sprayen, Kaugummis unter die Haltegriffe zu kleben oder seine Initialen in die Tür zu ritzen. Doch meine Haare und Klamotten interessieren mich gerade wenig. Ich starre weiter in den Spiegel. Wäre dies ein Horrorfilm, so überlege ich, würde jetzt das ohnehin schon düstere Licht flackern, und im Spiegel würde hinter mir eine Gestalt mit blei chem Gesicht und hellblondem Haar auftauchen. Ich würde erstarren, dann losschreien, und dann würde der Regisseur in die nächste Szene blenden …
    Aber weil dies kein Horrorfilm ist, bleibt der Aufzug im dreizehnten Stock stehen, es macht erneut »Pling«, und die Tür öffnet sich. Ich stehe in

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