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Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Titel: Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Ganzwohl
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viel leicht, dass ich dir schon wieder ’ne Depressionsstory aufs Auge drücke«, meint die Redaktionsleiterin und grinst in meine Richtung.
    Ich grinse zurück und nicke.
    Nach der Konferenz gehe ich in das Büro der Ressortleiterin und bitte um mehr Informationen.
    »Sorry, Sibylle, ich fürchte, ich habe nicht aufgepasst, als du das Thema vorgestellt hast.«
    »Kein Problem, passiert mir auch manchmal. Diese Konferenzen dauern einfach immer viel zu lange. Ich rette mich oft mit Sekundenschlaf.«
    Ich muss lachen.
    »Und, worum geht’s nun? Ich soll in den Knast?«
    »Ja, in den Frauenknast nach Vechta. Liegt in Niedersachsen. Die freie Kollegin, die darüber schreiben wollte, hat ihr Baby drei Monate zu früh bekommen.«
    »Oje, tut mir leid.«
    »Ja, mir auch, aber es geht wohl beiden halbwegs gut, Mutter und Frühchen.«
    »Na, wenigstens das.«
    »Ja, wenigstens das. Jedenfalls … Sie, also diese Autorin, hat schon alles vorrecherchiert, alle Termine vereinbart, alle Genehmigungen bei der Gefängnisleitung und den Ministerien eingeholt – das war ziemlich aufwendig. Darum möchte ich, dass das eine Festangestellte aus der Redaktion übernimmt, und will es keiner anderen Freien übergeben; so kann ich dieser Autorin wenigstens noch ein faires Recherchehonorar bezahlen. Immerhin war es ihre Idee.«
    »Verstehe.«
    »Und das Thema ist super, wie für dich gemacht.«
    Ich zucke zusammen. Aber nein, sie kann nichts über Claus’ Vergangenheit wissen. Sie hat das nur gesagt, weil sie mich kennt und weiß, welche Themen mich interessieren.
    »Meinst du?«, frage ich.
    »Ja, eine typische Kristin-Geschichte, sehr ernsthaft und sozialpolitisch und so.«
    »Du bist fies, Sibylle.«
    Sie kichert.
    »War eher positiv gemeint, ehrlich.«
    »Na, da bin ich ja beruhigt.«
    »Wir haben jedenfalls die offizielle Genehmigung für Fotos und Interviews mit mehreren Gefangenen. Du darfst sie zwei Tage lang begleiten, bei allem, was sie tun, zusam men mit dem Fotografen. Wenn du willst, lasse ich Olaf dafür buchen.«
    Ich atme innerlich auf. Wenn Olaf mitkommt, muss ich mich nicht verstellen, sollte ich eine kleine Knastkrise oder einen Weinkrampf oder Schnappatmung vor lauter Aufregung bekommen.
    »Olaf wäre super. Du weißt doch, wir sind ein DreamTeam.«
    »Ja, weiß ich. Außerdem ist er ein toller Reportagefotograf. Das liegt ihm mehr als Beauty und Mode.«
    »Weißt du, weswegen sie einsitzen? Also die Frauen, die ich begleiten soll, meine ich.«
    » Einsitzen? Mensch, Kristin, du hast ja die Knackisprache jetzt schon richtig gut drauf!«
    Du hast ja keine Ahnung, wie sehr, denke ich.
    Laut sage ich: »Ja, ich bin unglaublich anpassungs fähig. Weißt du denn nun, warum diese Frauen in Haft sind?«
    »Nein, das wird aus datenschutzrechtlichen Gründen verschwiegen. Du hast nur die Chance, vor Ort ihr Vertrauen zu gewinnen und sie dazu zu bringen, es dir zu sagen, und dir zu erlauben, darüber zu schreiben.«
    »Oh. Aha.«
    »Das schaffst du schon.«
    »Hm. Hast du mit ihnen oder wenigstens einer von ihnen am Telefon gesprochen? Oder kann ich das noch machen, bevor es losgeht?«
    »Nee, geht nicht, ist auch nicht erlaubt. Ich konnte nur kurz mit dem Gefängnisdirektor telefonieren. Tut mir leid. Wir wissen nicht, mit wem du es zu tun haben wirst, ob sie mit dir reden, etwas preisgeben, sich von vorn foto grafieren lassen oder ihr Gesicht verbergen wollen – ihr müsst improvisieren und euren unvergleichlichen Charme spielen lassen.«
    »Klingt nach ’ner Herausforderung.«
    »Warum, meinst du, haben wir dich dafür ausgesucht, meine Liebe?«
    Eine Woche später. Ich sitze im Zug und bin auf dem Weg in den Knast. Olaf wird mit seiner Ausrüstung später zusteigen; er fotografierte bis gestern für ein anderes Magazin. Auf dem Tischchen vor mir steht ein Pappbecher mit ICE -Kaffee, auf einer Serviette wartet ein Croissant, das ich kurz vor der Abfahrt am Münchner Hauptbahnhof gekauft habe. Ich reiße es in kleine Stücke, esse aber keines, sondern drapiere sie vor mir in Herzform. Ich komme mir vor, als würde ich träumen. Ausgerechnet jetzt, ausgerechnet so ein Auftrag. Das ist doch verrückt.
    In ein paar Stunden werde ich ein echtes Gefängnis betreten. Ich werde nicht nur den Besucherraum und ein paar lange Gänge zu Gesicht bekommen, sondern alles. Zellen, Waschräume, Toiletten, Sporthalle, Küche, Arbeitsplätze, Knastkantine, Gefängnisladen. Ich werde das nicht nur in meinem Wohnzimmer auf dem Fernseher sehen,

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